Kapitel 8: Die Verbreitung der männlichen genitalen Unversehrtheit

Wallerstein (1985) schätzt genitalen Unversehrtheit von Jungen und Männern weltweit auf rund 80, jedoch variieren die Zahlen je nach Nation beträchtlich.(1)

Nicht-englischsprachige Nationen

In Europa ist die genitale Unversehrtheit von Jungen und Männern weit verbreitet.(1) Besonders in skandinavischen Nationen, wird die Genitalbeschneidung nur sehr selten praktiziert. Selbst unterschwedischen Juden ist die Genitalbeschneidung von Jungen relativ gering. So lassen Schätzungen zufolge ungefähr 40 Prozent der schwedischen Juden ihre Söhne rituell an ihren Genitalien beschneiden,(3) folglich bleiben 60 Prozent mit unversehrten Genitalen zurück. 

Ein sehr niedriger Wert der genitalen Unversehrtheit wird in Israel erreicht, wo die meisten Jungen aus religiöser oder kultureller Überzeugung am achten Lebenstag am Penis beschnitten werden. Israel gehört damit - zusammen mit den USA - zu den einzigen Ländern, in denen die Genitalbeschneidung bei neugeborenen Jungen mehrheitlich durchgeführt wird.

In islamischen Ländern wie werden beinahe hundert Prozent aller Jungen beschnitten. Die Beschneidung findet aber gewöhnlich zwischen dem fünften und zwölften Lebensjahr statt.(18) In der Türkei liegt der Anteil der beschnittenen Jungen dagegen bei etwa 85 Prozent.(2)

In Russland, China, Südasien und Lateinamerika ist die nicht-therapeutische männliche Genitalbeschneidung- mit Ausnahme der muslimischen Regionen - unüblich, da dort auftretende Religionen die Beschneidung von Jungen nicht praktizieren und sich ebenso keine entsprechende Kultur entwickelt hat.(1)

Die Philippinen weisen dagegen nur eine geringe Verbreitung genitaler Unversehrtheit auf. Dort ist die Beschneidung ("Tuli" genannt) eine kulturelle Praktik.(4)

Südkorea weist infolge des amerikanischen Einflusses ebenfalls eine geringe Verbreitung genitaler Unversehrtheit auf.(5) Kim et al.(1999) berichten, dass die Rate genitaler Unversehrtheit unter Männer und Jungen im Alter von 16-29 Jahren nur 16 Prozent beträgt.(5)

Englischsprachige Nationen

In den englischsprachigen Nationen wird – in der Welt einzigartig – die männliche Säuglingsbeschneidung aus vermeintlich prophylaktischen Gründen seit mehr als 100 Jahren praktiziert.(1)

Der britische National Health Service [Britischer Gesundheitsdienst] stellte 1950 die Finanzierung nicht-therapeutischer Genitalbeschneidungen ein, sodass die Verbreitung genitaler Unversehrtheit im Vereinten Königreich stark zugenommen hat. Laut der British National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles (Natsal 2000) betrug im Jahr 2000 die genitale Unversehrtheit unter 16-19 jährigen Männern 88,3 Prozent. Männer, die ethnischer Minderheiten angehörten (ausgenommen afrokaribischer Herkunft), waren signifikant häufiger beschnitten. Britische Juden weisen mit 1,3 Prozent den niedrigsten Wert genitaler Unversehrtheit auf. Sikhs, Buddisten und Hindus dagegen waren zu 98,2 Prozent genital unversehrt.(6)

Die USA ist das einzige Land, in dem die Mehrheit der Jungen in der Neugeborenenphase aus nicht-religiösen Gründen beschnitten werden. Die genitale Unversehrtheit ist unter den englischsprachigen Ländern am geringsten,(1) wobei sich der Trend zu zunehmender genitaler Unversehrtheit hin entwickelt. Eine Studie, die in den frühen 1960ern in fünf Krankenhäusern in Pittsburgh durchgeführt wurde, stellte fest, dass 97 Prozent aller Säuglinge beschnitten wurden.(15) Laumann et al. (1997) berichteten über die Ergebnisse der National Health and Social Life Survey (NHSLS), die zwischen 1932 und 1971 geborene Männer untersuchte.(16) Der NHSLS befand, dass die Beschneidungsrate im Jahre 1965 bei 85 Prozent gipfelte. Von den in den USA geborenen Männern hatten 23 Prozent unversehrte Genitalien.(14) Laut der National Hospital Discharge Survey (NHDS) betrug im Jahr 2006 die Verbreitung genitaler Unversehrtheit unter Neugeborenen 44 Prozent. Die NHDS berichtet darüber hinaus über beträchtliche Unterschiede in den verschiedenen Zensusregionen, wobei die Verbreitung genitaler Unversehrtheit von einem Tiefstwert von 22 Prozent im mittleren Westen bis zu einem Höchstwert von 66 Prozent in der westlichen Region reichte.Von Jahr zu Jahr nahm die Beschneidungsrate bei Neugeborenen in allen vier Zensusregionen der USA stetig ab.(17)

In Kanada ist die Genitalbeschneidung von Jungen noch verbreitet, jedoch ist diese Praktik ist im ganzen Land im Niedergang begriffen. Patel (1965) gab die Beschneidungsrate in einem städtischen Krankenhaus für den Zeitraum von 1961-62 mit 48 Prozent an.(7) Dieser vier Jahrzehnte alte Wert wird weiterhin von der American Academy of Pediatrics zitiert, um die Verbreitung der Beschneidung in Kanada wiederzugeben.(8) Die kanadische Association for Genital Integrity [Vereinigung für die Genitale Unversehrtheit] gab an, dass die Verbreitung der genitalen Unversehrtheit unter den im Jahr 2003 geborenen Jungen von einem Höchstwert von 100 Prozent in Neufundland bis zu einem Tiefstwert von 70,4 Prozent auf der Prinz-Edward-Insel reichte. Sie schätzt die Verbreitung der genitalen Unversehrtheit unter den 2003 geborenen kanadischen Jungen auf 86,1 Prozent im Jahr 2003, wobei ein Trend hin zu einer wachsenden genitalen Unversehrtheit besteht.(9)

Australien hat eine hohe Verbreitung genitaler Unversehrtheit unter neugeborenen Jungen, da es offizielle Politik des Australian College of Paediatrics [Australische Kinderärztevereinigung] seit 1971 war, sich gegen die Genitalbeschneidung neugeborener Jungen auszusprechen.(10) Laut Wallerstein (1985) betrug die die Rate der Routinebeschneidungen in Australien 49 Prozent in den Jahren 1973-74 und ungefähr 59 Prozent in den Jahren 1979-1980.(1) Im Jahr 2000 waren aufgrund der ehemals hohen Beschneidungshäufigkeit rund 52 Prozent aller australischen Männer genital unversehrt.(11) Darby (2000) gab an, dass die Verbreitung genitaler Unversehrtheit unter neugeborenen Jungen in den Jahren 1995-66 89,4 Prozent betrug. Die Verbreitung genitaler Unversehrtheit blieb in den letzten Jahren konstant bei ungefähr 87,2 Prozent, variiert aber beträchtlich zwischen den einzelnen Bundesstaaten, mit einem Tiefstwert von 82 Prozent in Queensland und einem Höchstwert von 98 Prozent in Tasmanien.(12)

In Polynesien weist die hauptsächlich samoanische und tongaische Bevölkerung dagegen eine sehr geringe Verbreitung der genitalen Unversehrtheit auf, die bei beinahe null Prozent liegt.(1314)

Neuseeland hatte einst eine sehr geringe Verbreitung genitaler Unversehrtheit. Die Beschneidungsrate bei neugeborenen Jungen europäischer Abstammung erhöhte sich um 1940 jedoch auf mehr als 99,5 Prozent.(1314) Ab 1970 begann die Beschneidungsrate dort jedoch wieder stark abzufallen. 

Referenzen

  1. Wallerstein E. Circumcision: the uniquely American medical enigmaUrol Clin North Am 1985;12(1):123–32.
  2. Verit A. Circumcision phenomenon in Turkey as a traditional country: from past to present.European Urology Today 2002;13(3):4–5.
  3. Hofvander Y. Circumcision in boys: time for doctors to reconsider.World Hosp Health Serv 2002;38(2):15–17.
  4. Ramos S, Boyle GJ. Ritual and medical circumcision among Filipino boys: evidence of post–traumatic stress disorder. In: (Eds) George C. Denniston, Frederick Mansfield Hodges, Marilyn Fayre Milos. Understanding Circumcision; A Multi-Disciplinary Approach to a Multi-Dimensional Problem.New York: Kluwer Academic/Plenum Publishers, 2001. 
  5. Kim DS, Lee JY, Pang MG. Male circumcision: a South Korean perspectiveBJU Int 1999;83 Suppl 1:28-33.
  6. Dave SS, Johnson AM, Fenton KA, et al. Male circumcision in Britain: findings from a national probability sample surveySex Trans Infect 2003;79:499–500.
  7. Patel H. The problem of routine infant circumcision. Can Med Assoc J 1966;95:576–81.
  8. Task Force on Circumcision. Circumcision Policy StatementPediatrics 1999;103(3):686–93.
  9. Circumcision Practices in Canada. Association for Genital Integrity 2003. Abrufbar unter: http://www.courtchallenge.com/refs/yr99p-e.html
  10. Belmaine SP. Circumcision. Med J Aust 1971;1:1148.
  11. Darby R. "A source of serious mischief": The demonization of the foreskin and the rise of preventive circumcision in Australia. In: (Eds) George C. Denniston, Frederick Mansfield Hodges, Marilyn Fayre Milos. Understanding Circumcision; A Multi-Disciplinary Approach to a Multi-Dimensional Problem. New York: Kluwer Academic/Plenum Publishers, 2001: p. 157.
  12. Young H. Circumcision in Australia. (2005) Abrufbar unter http://www.circumstitions.com/Australia.html
  13. McGrath K. Young H. A review of circumcision in New Zealand. In: (Eds) George C. Denniston, Frederick Mansfield Hodges, Marilyn Fayre Milos. Understanding Circumcision; A Multi-Disciplinary Approach to a Multi-Dimensional Problem. New York: Kluwer Academic/Plenum Publishers, 2001. 
  14. Young H, McGrath. The Rise and Fall of Circumcision in New Zealand. Präsentiert auf dem Sechsten Internationalen Symposium zur Genitalen Unversehrtheit, Sydney, 8. Dezember, 2000.
  15. Thompson DJ, Gezon HM, Rogers KD, et al. Excess risk of staphylococcus infection and disease in newborn males.Am J Epidemiol 1965;84(2):314–28. 
  16. Laumann, EO, Masi CM, Zuckerman EW. Circumcision in the United StatesJAMA 1997;277(13):1052–7.
  17. National Hospital Discharge Survey for 2006.Hyattsville, MD: National Center for Health Statistics.
  18. Sahin F, Beyazova U, Akturk A. Attitudes and practices regarding circumcision in TurkeyChild Care Health Dev 2003;29(4):275.