British Medical Journal
19. Februar 2011
von Mihail Evans
Neue Gesetze in Frankreich haben eine verstärkte Debatte darüber ausgelöst, ob das Tragen eines Schleiers einer sexuellen Unterdrückung muslimischer Frauen gleichkommt. Die Behandlung der Frau im Islam ist in der westlichen Presse regelmäßig Thema, dennoch eilen nur wenige zur Verteidigung muslimischer und anderer kleiner Jungs, die einer Kinderbeschneidung unterzogen werden. Tatsächlich schaffte es die Beschneidung des Enkelsohns Präsident Sarkozys, der ironischerweise ein Befürworter des Schleierverbots ist, nur in die französischen Tratsch-Seiten. Als eine permanente chirurgische Genitalveränderung, ist die Beschneidung sehr wohl eine viel ernstere Angelegenheit. Denn schließlich hat eine muslimische Frau, zumindest theoretisch, die Option ihren Schleier fortzuwerfen. Die Vorhaut des beschnitten Mannes wurde bereits weggeworfen.
Kaum ein Land hat die männliche Beschneidung verboten, aber sogar symbolische Alternativen zur weiblichen Genitalverstümmelung werden in beinah allen westlichen Rechtsystemen verboten. Während meiner Zeit als Student, veröffentliche eine weibliche Akademikerin an meiner Institution einen Artikel, in welchem sie die männliche Beschneidung verteidigte. Dies löste ein Gedankenexperiment aus: nehmen wir an, wir fänden einen männlichen Akademiker, der die chirurgische Modifizierung weiblicher Genitalien unterstütze. Würden seine Ansichten akzeptiert werden? Warum kann sich eine jüdische Frau offen für die männliche Beschneidung aussprechen, aber ein somalischer Mann nicht die weibliche Beschneidung verteidigen?
Physiologische Untersuchungen haben die Vorstellungen untergraben, denen zufolge die Vorhaut "nur ein Lappen Haut" wäre und haben gezeigt, dass sie ein integraler Bestandteil des Penis ist. Da die Vorhaut heute als ein erogenes, multifunktionales Gewebe angesehen wird, ist die etablierte Meinung von der Beschneidung als eine nicht-schädigende Gewebsentfernung vollkommen widerlegt. Es wäre angemessener unsere Terminologie zu ändern und von männlicher Genitalverstümmelung anstelle von Beschneidung zu sprechen auf die gleiche Weise, wie wir den Ausdruck weibliche Genitalverstümmelung gebrauchen und nicht Kliterodektomie.
Finnland ist einer der wenigen Orte, wo die männliche Beschneidung illegal ist, obwohl kürzliche Gerichtsurteile dieses Gesetz aufgeweicht haben und Ausnahmen für einige religiöse Beschneidung gestatteten. Bulgarien verbat die männliche Beschneidung in den 1980ern, aber mehr als Teil eines kulturellen Krieges gegen seine muslimische Minderheit als aus offenkundigen humanitären Bedenken heraus. Meine Partnerin ist Bulgarin, und es erstaunt mich, dass unter dem Gesetzt im Vereinten Königreich ich auf legale Weise meinen Sohn dort hinbringen und ihm einer der entsetzlichen Beschneidungen unterziehen könnte, wie sie in einem Bulgarisches Nachrichtenprogramm gezeigt werden (www.vbox7.com/play:72a1576e), aber mein somalischer Nachbar würde strafrechtlich verfolgt, wenn er versuchen würde der traditionellen Haltung damit zufrieden zu stellen, indem er die weibliche Beschneidung mit einem symbolischen Nadelstich in die Klitorisvorhaut ersetzte.
Wir bekommen selten mehr als die bloße Spitze des Eisbergs des sexuellen und psychologischen Schadens zu Gesicht, die von der Beschneidung verursacht wird. Ein Symptom ist die beträchtliche Anzahl Männer, die sich für eine Vorhautrestoration interessieren. Dass irgendein Mann bereit wäre über viele Jahre hinweg mehrere Stunden am Tag damit zu verbringen, Vorrichtungen mit Gewichten, Bändern und Spannung zu verwenden im Versuch sich eine neue Vorhaut wachsen zu lassen, ist Zeugnis für das Leid, das in manchen Fällen verursacht wird. Während man Online-Foren wie www.restoringforeskin.org durchstöbert, bekommt man einen Eindruck von der großen fehlenden Masse an Unterhaltungen zwischen Männern, die in der Öffentlichkeit unaussprechbar sind: Der Iraner, der im Westen aufwuchs, und immer fühlt, dass ihm etwas fehlt, wenn er mit einer Frau schläft, oder der schwule US-Amerikaner der deprimiert ist, weil er nicht wie sein europäischer Liebhaber den Penis besitzt, mit dem er geboren wurde. Die männliche Beschneidung in den entwickelten Ländern wird einfach als eine Frage der Einstellung betrachtet. Die meisten Frauen im Vereinigten Königreich beschneiden ihre Söhne zwar nicht, aber wenn eine Mutter sagt, dass sie ihren Sohn beschnitten hat "um wie Daddy auszusehen" oder aus "Tradition", wird kaum eine Wimper gezuckt.
Ich war von einigen Kommentaren von Müttern schockiert, die so hartherzig schienen, dass man sie niemals tolerieren würde, wären die Geschlechterrollen umgekehrt. In einem dieser Kommentare schrieb eine Mutter "LOL" ("laugh out loud"), nachdem sie dem Forum mitgeteilt hatte, dass ihr beschnittener 4 Jähriger "seinen alten Penis wieder haben will." In einem anderen erklärt eine Mutter aus Südafrika, dass sie die getrocknete Vorhaut ihres Sohnes aufbewahrt habe "für den Fall, dass er sie später wieder haben will". Anderswo im Web ist es vollkommen akkzeptabel für Frauen, wenn man seine Präferenz für einen "sauberen" beschnittenen Penis äußerst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann der Maßnahmen befürwortet um die Vagina attraktiver und hygienischer zu machen, ganz zu schweigen von chirurgischen Maßnahmen, sich auch nur einen Moment lang Gehör verschaffen würde.
Gesetzesvorschläge für ein Verbot der männlichen Beschneidung wurden in Massachusetts vorgebracht, und obwohl sie abgelehnt wurden, gehen die Kampagnen in anderen Staaten weiter. (Siehe http://mgmbill.org/). Auch die niederländischen Ärzte diskutierten letztes Jahr über ein Verbot (BMJ 2010;340:c2987). Eine bessere Möglichkeit um die Genitalien kleiner Jungen zu schützen wäre vielleicht einfach die bestehenden Gesetzte anzuwenden. Das Tasmanische Law Reform Institute hat nahe gelegt, dass sie männliche Beschneidung bestehende Kinderschutzrechte verletzt (http://bit.ly/eLfxId). Und die Medien haben auf die Möglichkeit eines Testfalls im Vereinigten Königreich hingewiesen (http://bit.ly/4GviWc). Letztendlich wird man im Westen kleinen Jungs vielleicht die gleichen Rechte wie ihre Schwestern zugestehen, aber der Widerstand ist absonderlich groß und kommt aus den erstaunlichsten Ecken.
Mihail Evans ist ein früherer postdoktoraler Forscher der Ethik, University of the West of England mihail@riseup.net
Zitierweise des englischsprachigen Originalartikels:
Evans M. Circumcision in boys and girls: why the double standard? BMJ 2011; 342:d978. doi: 10.1136/bmj.d978