Aart Klijn | Die KNMG [=Königlich niederländische medizinische Gesellschaft] hat im Jahr 2010 offiziell Stellung gegen nicht-therapeutische Beschneidungen von nicht-einwilligungsfähigen Jungen bezogen wie folgt:(1) Die Beschneidung aus nicht-therapeutischen Gründen wird von einem Teil der Ärzte abgelehnt. Beträchtliche Risiken birgt aber auch eine "therapeutische" Zirkumzision. Nicht zuletzt sind gute Alternativen verfügbar. |
Bis zum Alter von 7 bis 10 Jahren kann die Vorhaut eines Jungen oft noch nicht vollständig zurückgezogen werden, weil erstens das innere Vorhautblatt mit der Eichel verklebt ist und weil zweitens das äußere Vorhautblatt noch physiologisch verengt ist. Durch die natürliche Produktion von Hautfetten durch Drüsen entlang des Eichelkranzes wird die Vorhaut aus ihrer Verklebung mit der Eichel gelöst. Sobald sich die Verklebung des inneren Vorhautblattes bereits gelöst hat, aber das etwas längere, äußere Vorhautblatt an der Spitze noch etwas verengt ist, kann sich die Vorhaut beim Wasserlassen aufblähen, was Ballonieren genannt wird. Dieses "Ballonpinkeln" ist ein vollkommen normales Phänomen bei kleinen Jungen. In erster Linie suchen besorgte Eltern von Jungen, bei denen dieses Phänomen auftritt, ärztlichen Rat. Die nächstliegende Lösung ist hier eine leichte Dehnung der Vorhaut, sodass sich diese beim Wasserlassen nicht mehr aufbläht.
Sollten die Enge der Vorhaut tatsächlich Beschwerden verursachen, dann ist die Therapie der ersten Wahl eine Dehnungsbehandlung der Vorhaut durch Zurückziehen - einmal täglich - über einen Zeitraum von vier Wochen, in Kombination mit topischer [=örtlicher, äußerlicher] Anwendung einer Corticosteroid-Creme während der ersten beiden Wochen. Es ist wichtig, beides miteinander zu kombinieren: Nur das regelmäßige tägliche Dehnen durch Zurückziehen der Vorhaut oder die Verwendung von Corticosteroiden allein bewirkt meist keine ausreichende Weitung.
Wichtig für Eltern und betroffene Jungs:
Für erfolgreiche Dehnung ist es entscheidend, wie genau diese Dehnungs- und Salbenbehandlung durchgeführt wird:
Die Vorhautspitze wird - idealerweise im aufgeweichten Zustand, also nach Baden/ Duschen/ Schwimmen - dünn mit der Salbe eingecremt. So lässt man die Salbe ca. 4-5 Min. einwirken.
Erst dann wird die Vorhaut vorsichtig mit zwei Fingern behutsam so weit zurückgezogen, wie dies ohne Schmerzen und ohne Kraftanwendung möglich ist. Die Vorhaut ist einige Sekunden in dieser Position zu halten. Danach die Haut wieder nach vorne gleiten lassen bzw. vorsichtig schieben.
Dieses "Vorhauttraining" wird ca. 5-10 Minuten lang wiederholt und als Ganzes 1 bis 3 Mal täglich durchgeführt.
Eine Vorhautdehnung darf für den Jungen keinesfalls schmerzhaft oder eine Quälerei sein. Falls doch, wird sie falsch durchgeführt.
In seltenen Fällen könnte auch diese Therapie noch nicht zum Erfolg führen, zum Beispiel bei Narben infolge von Balanitiden. Bei dieser Eventualität besteht die Möglichkeit einer Vorhaut-erweiternden Operation. Anlässlich dieser chirurgischen Erweiterung bleibt die gesamte die Vorhaut erhalten und es werden ausgezeichnete kosmetische Resultate erzielt: Das Aussehen des Penis bleibt unbeschnitten, die Haut liegt gut an der Eichel an.
Dagegen birgt die althergebrachte Beschneidung ein hohes Risiko für Komplikationen: Mehrere Studien belegen ein Risiko für unmittelbare operative Komplikationen von 2 Prozent; für spätere Komplikationen sogar ein Risiko von rund 20 Prozent (vor allem Meatusstenosen, drei oder mehr Jahre nach im Neugeborenenalter durchgeführten Beschneidungen). (2, 3)
Phimose und Behandlung | |||
2008 | 2009 | 2010 | |
Diagnose Phimose bei 0- bis 14-Jährigen | 4940 | 4911 | 4912 |
Eingriffe am Präputium bei 0- bis 14-Jährigen | 4194 | 4594 | 4650 |
davon Beschneidungen | 3483 | 3513 | 3670 |
LMR-Ziffern (landesweites medizinisches Register) von niederländischen Krankenhäusern (ungefähr 67% der niederländischen Krankenhäuser in den angeführten Jahren). Quelle: Kiwa Prismant. |
Jährlich werden mehr als fünftausend Jungen wegen tatsächlicher oder angeblicher Vorhautprobleme an Fachärzte bzw. Krankenhäuser überwiesen, der überwiegende Teil davon mit dem Ansinnen, eine Beschneidung durchzuführen. Vorausgehend wird manchmal zwar eine Therapie mit Corticosteroidsalbe begonnen, aber häufig nicht begleitend mit täglichem Dehnen durch Zurückziehen der Vorhaut durchgeführt. Deshalb ist nach dieser Zeit auch keine Wirkung festzustellen, woraufhin zur Beschneidung gedrängt wird. Ich habe den Eindruck, dass in vielen Krankenhäusern ein Ärzte- bzw. Elternwunsch nach Beschneidung in mehr als 70 Prozent der Fälle auch ausgeführt wird. (siehe Tabelle)
Eine schnelle Untersuchung der Überweisungen auf die akademische Kinderurologie des Wilhelmina-Kinderkrankenhaus zeigt, dass von den letzten hundert Jungen, die wegen einer engen Vorhaut an die Kinderurologie überwiesen wurden, nur zwei tatsächlich einer Beschneidung wegen Balanitis xerotica obliterans oder Lichen sclerosus bedurften. Die restlichen 98 Jungen erhielten eine Behandlung mit topisch angewandter Dermovate-0.05%-Salbe in Kombination mit der Dehnung der Vorhaut durch Zurückziehen. Nach dieser Therapie besaßen 86 Jungen fortwährend eine ausreichend weite Vorhaut. Nur zwölf Jungen wurden letztlich einer Vorhauterweiterungsplastik unterzogen. Letztlich wurde die Beschneidung also auf nur 2 Prozent der Jungen mit einer vermeintlichen Vorhautverengung begrenzt. Bei insgesamt 14 Prozent wurde schließlich eine Operation an der Vorhaut durchgeführt.
Sowohl über die Steroid-Therapie als auch die Vorhauterweiterungsplastik wurden viele Studien veröffentlicht.(4-10) Es scheint jedoch, dass diese Studien die niederländische medizinische Praxis noch nicht erreicht haben. Die Indikation zur Beschneidung wird in den Niederlanden immer noch zu leichtfertig gestellt.
Da heute gute Möglichkeiten zur Vorhauterweiterung verfügbar sind, ist es ethisch nicht zu verantworten, davon ungerührt die aktuell hohe Anzahl "therapeutischer" Beschneidungen weiterhin aufrechtzuerhalten, wo auch konservative Therapien hilfreich wären. Darüber hinaus haben wir auch die Kosten dieser Operationen zu betrachten.
Ich appelliere an Hausärzte, Chirurgen und Urologen, sich mit der Vorhauterweiterungstechnik vertraut zu machen, die Vorhaut so oft es geht zu erhalten, sie so oft wie möglich zu trainieren und somit das Budget allein für notwendige Behandlungen einzusetzen. Die Beschneidung wegen Phimose stellt häufig eine unnötige und kostspielige Überbehandlung von nicht-einwilligungsfähigen Kindern dar.