Von John W. Travis (MD), John V. Geisheker (JD, LLM)
Veröffentlicht Freitag, 30. Mai 2008,
Doctors Opposing Circumcision (D.O.C), eine international Ärztegesellschaft, die Woche um Woche ängstlichste Beschwerden von Eltern intakter (nicht beschnittener) Söhne bearbeitet, deren Vorhäute von unwissenden Ärzten zurückgezogen wurden.[1] Traurigerweise ist die vorzeitige gewaltsame Vorhautretraktion viel schmerzhafter, ernsthafter und permanent schädigender, als sich die meisten Eltern bewusst sind. Die vorzeitige Vorhautretraktion ist eine Epidemie in der angloamerikanische Medizin und, während die Anzahl intakter Jungs zunimmt, verschlechtert sich diese Situation.
[Auch in Deutschland scheint das vorzeitige Zurückziehen der Vorhaut eine Epidemie zu sein und das gänzlich ohne einen kulturellen Hintergrund einer Routine-Beschneidungstradition, wie in den angelsächsischen Ländern. Anm. d. Red.]
Wir spekulieren, dass wir nur auf einen aus tausend Fällen in den USA aufmerksam werden und das bedeutete ganze 150000 Fälle von vorzeitiger Vorhautretraktion jedes Jahr.
Wahrscheinlich finden viele ähnliche Vorfälle in anderen englisch-sprechenden Ländern statt (möglicherweise ist der Prozentanteil sogar höher als in den USA, weil außerhalb der USA weit mehr Jungen intakt sind.) Die meisten Leute haben keine Vorstellung, dass ihr Kind verletzt wurde oder warum.
Hier ist ein typischen Beschwerde wie ich sie erhalte:
Sehr geehrter Ärzte,
Ich habe auf einer Mothering-Website gelesen, dass sie Beschwerden über Vorhautretraktionen bei kleinen Jungen abwickeln. Wir ließen unseren Jungen Ethan, heute 6 Monate alt, unbeschnitten, weil wir wussten dass die Beschneidung unnötig, schmerzhaft und risikoreich ist. Letzte Woche während einer Routine-Untersuchung, noch bevor ich ihn aufhalten konnte, zog unser Kinderarztes Ethans Vorhaut ganz zurück. Es ging so schnell, dass ich nichts unternehmen konnte. Ethan schrie sofort auf, weinte stundenlang und war seitdem immerzu unruhig und übellaunig. Nun verlaufen kleine Kreise, wie Risse, um seine Vorhaut herum, aus denen Blut herauskommt. Sein Penis ist rot und geschwollen. Ethan ist jetzt ungewöhnlich übellaunig, sobald seine Windel nass ist, deshalb glauben wir, dass es ihn brennt, wenn er schreit, wenn wir ihn wickeln oder die Windel seinen Penis berührt. Es bricht mir das Herz ihn hören zu müssen. Er hatte überhaupt keine Probleme vor diesem Arztbesuch.
Der Arzt erzählte uns wir müssen Ethans Vorhaut auf diese Weise jeden Tag zurückziehen oder zumindest bei jedem Bad, um wie er es nannte „Adhäsionen“ zu verhindern und das Smegma wegzuwaschen, das sich dort bilden würde. Er sagte, wenn wir das nicht machten, müsste unser Junge auf jeden Fall beschnitten werden.
Ist all dies notwendig? Ich kann nicht glauben, dass man einem Jungen weh tun soll um ihn sauber zu halten. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich bin wütend über das, was mit Ethan passiert ist. Er war ein sehr glücklicher kleiner Junge vor diesem Vorfall. Bitte helfen sie uns.
Was mit Ethan passierte, ist klinisch unnötig und vollkommen unentschuldbar. Ethans Eltern haben genau die richtigen Instinkte, und das mit gutem Grund. Aber um zu verstehen warum, muss der Leser ein paar Hintergründe kennen.
In der Mitte des 19 Jahrhunderts, hofften viele britische und amerikanische Ärzte, den Geburtsprozess und die Säuglingszeit als medizinische Geschäftsmöglichkeiten nutzen zu können und marginalisierten dabei ihre uralten Konkurrenten, die Hebammen und Geburtsbegleiterinnen. Dies war der wirkliche Beginn der Medikalisierung der Geburt.
Etwa zur selben Zeit verbreiteten andere Ärzte die Ansicht, dass die Irritation oder Stimulation von sensitivem Gewebe, wie etwa genitalem Schleimhautgewebe, Krankheiten in weit auseinander liegenden Körperteilen auslösen könne. Sie erfanden beispielsweise den alten Umkleideraum-Mythos, dass die Masturbation blind mache. Sie nannten ihre Krankheitstheorie, die nach der Keimtheorie aufgestellt wurde „Reflex-Neurose“
Natürlich war diese Theorie falsch, aber abgesehen davon dass die den Patienten bequemerweise die Schuld daran gab, seine eigenen Gesundheitsprobleme verursacht zu haben, brachte die Reflexneurose eine ganze neue Art an pseudo-medizinischen Eingriffen für Kinder hervor, einschließlich der Zirkumzision, der Klitoridektomie und der gewaltsamen Vorhautretraktion. Aggressives Waschen, austrocknen –und sogar die Amputation – von sensitiven erogenen Genitalgewebe war – gemäß dieser Theorie ein Mittel, um die körperliche Erkundung zu verhindern, Krankheiten vorzubeugen und gleichzeitig die „moralische Hygiene“ zu fördern.
Besonders weit verbreitet war die Ansicht, dass die Anhäufung von Smegma, einer schützende Sekretion, die die Genitalien sowohl von Jungs als auch von Mädchen produzieren, ungewollte Stimulation verursachen könne, was damals Irritation genannt wurde. Diese Stimulation könnte die Aufmerksamkeit des Kindes auf seinen Penis (oder auf seine Klitoris) lenken – so lautet die Theorie – die er oder sie dann anfassen könnten. Man glaubte, dass selbst eine gelegentliche Erkundung der Genitalien durch das Kind Tuberkulose, Schwachsinn, Blindheit, Idiotie, Hüftfehlbindungen, ungewöhnlichen Haarwuchs und dutzende andere Erkrankungen auslösen würde [2]. Selbst noch in den 1930er rieten einige Ärzte Eltern dazu, kratzige Musselin-Beutel, die für diesen Zweck gemacht worden waren, an die Hände von Jungen und Mädchen zu binden, um selbst einen versehentlichen Kontakt während des Schlafes zu verhindern.
Eltern wurde auch dazu geraten, die Vorhaut ihrer Jungen zurückzuziehen und jedwede gefährlichen Sekrete regelmäßig auszuschaben, oder den Jungen beschneiden zu lassen, so dass diese sich gar nicht erst ansammeln konnten. Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch, wurde das erzwungene Zurückziehen der Vorhaut zur genitalen Reinigung eine medizinische Standardpraxis. Millionen von noch lebenden, intakten angelsächsischen Männern, so lässt es sich mit Sicherheit sagen, wurde als Kindern die Vorhaut gewaltsam und unter Schmerzen zurückgezogen.
Ein Australischer Medizinhistoriker veröffentliche vor kurzen die folgende Beobachtung über den erfundenen und falschen Mythos von der Notwendigkeit einer rigorosen Hygiene männlicher Säuglinge. Er bemerkt die Ironie, dass Mädchen nur knapp einer ähnlichen Behandlung entgingen.
Überraschenderweise ist die paranoide Version der männlichen Säuglingshygiene noch nicht ausgestorben. Sie lebt weiter in verschiedenen abgemilderten Formen, als Folklore, die von Generationen von Ärzten und Krankenschwestern weitergereicht wurde, die diese dann den Eltern beibringen [3]. Während sie dies hier lesen, wird sehr wahrscheinlich ein Arzt oder ein Krankenschwester in ihrer örtlichen Kinderklinik einem unglücklichen kleinen Jungen gewaltsam die Vorhaut zurückziehen und oder den Eltern dazu raten, dies bei jedem Bad zu tun. Und wir werden sehen, dass selbst die Webseite des Royal Australasian College of Physicians' (Königlich Australasisches Ärztekollegium – ein Zusammschluss verschiedener australischer und neuseeländischer Ärzteverbände) des Fachbereichs Kinderheilkunde und Kindergesundheit, jungen Patienten antiquitierte oder möglicherweise gesundheitsgefährdende Empfehlungen zu diesem Thema ausspricht.
Die angemessene Säuglingshygiene sowohl für Jungen als auch für Mädchen ist erstaunlich simpel:
„Säubere nur, was du sehen kannst“
Das bedeutet, dass der Junge (oder das Mädchen) nichts als warmes Wasser nötig hat, mit dem behutsam die äußeren sichtbaren Teile seiner oder ihrer Genitalien gereinigt werden. Seife ist nicht notwendig. Eine eindringende oder innere Reinigung der Genitalien beiderlei Geschlechter ist nicht notwendig und auch nicht erstrebenswert. Eine aggressive innere Intimreinigung schädigt das sich noch entwickelnde Gewebe und die natürliche Flora und ist ebenso schädlich wie auch schmerzhaft.
Bei der Geburt ist der Penis anatomisch noch nicht voll entwickelt. Die Vorhaut ist mit der Eichel durch eine natürliche Membran, die balanopräputiale Lamina (übersetzt: „Eichel-Vorhaut-Schicht") verbunden. Diese Membran (dünnes Häutchen) ist anscheinend die Methode der Natur, die dicht mit Nerven durchsetzte und erogene Vorhaut des entwickelnden Penis vor der Reizung durch Fäkalien, dem Ammoniak im Urin und vor eindringenden Krankheitserregern zu schützen [4]. Obwohl sie eine sehr unterschiedliche anatomische Struktur besitzt, kann man sich die Vorhaut berechtigerweise als eine Art männliches Jungfernhäutchen denken, welches die Sexualorgane während der Jahre beschützt, in denen sie noch nicht für sexuell Zwecke gebraucht werden. Diese Membran kann 18 Jahre oder auch mehr benötigen, bevor sie sich auf natürliche Weise aufgelöst hat, so dass das Zurückziehen der Vorhaut möglich wird.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das durchschnittliche Alter, ab dem sich die Vorhaut ohne Schmerzen oder Verletzungen zurückziehen lässt, bei circa 10 Jahren liegt [5]. Manche Männer sehen zum ersten Mal ihre Eichel, wenn sie anfang 20 sind. Jedwedes Alter ist normal. Es gibt keine Notwendigkeit, die Eichel vorzeitig zu sehen. Tatsächlich brauchen Jungen wie auch Mädchen vor der Pubertät überhaupt keine Reinigung der inneren Teile ihrer Genitalien und die Empfehlung, dass man Kleinkinder bei jedem Bad die Vorhaut zurückziehen müsste, oder dass man ihnen zeigen müsste dies selbst zu tun, ist antiquierter medizinischer Aberglaube aus dem 19. Jahrhundert.
Denken wir für einen Moment lang wie Evolutionsbiologen. Wenn solch eine Reinigung tatsächlich notwendig wäre, würde dann irgendeiner von uns überhaupt existieren? Sicherlich wären unsere Vorväter in der Kindheit an Infektionen gestorben, lange bevor sie sich hätten fortpflanzen können. Unsere Primaten-Vorfahren sind wahrscheinlich nicht jeden Tag zum Fluss gelaufen, um ihren Kindern die Genitalien zu schrubben. Die Natur hätte jene, die solch eine Pflege bedurften, schnell ausgemerzt. Nur jene, die hart genug gewesen wären, dass sie solch eine Genitalreinigung nicht nötig hatten, hätten überlebt. Diese Überlebenden sind wir!
In Wirklichkeit ist der Urin, solange keine Hanrnwegsinfektion vorliegt, steril. Die Vorhäute von Säuglingen, Kleinkindern, Vorschul- und Grundschuljungen werden von dieser sterilen Flüssigkeit mit jedem Wasserlassen ausgespült. Eine weitere Reinigung ist nicht notwendig. Die Jungs und Mädchen, in den englischsprachigen Ländern Mitte des 19. Jahrhunderts brauchten nicht auf einmal eine aggressive Genitalhygiene wenn ihrer Vorfahren, hunderte Generationen lang, problemlos trotz harmloser Vernachlässigung überlebten.
In der Tat sind die Schleimhautbereiche der Genitalien [beim Jungen die Eichel und die Innenseite der Vorhaut] selbst-reinigend und selbst-schützend. Evolutionär gesehen könnte es gar nicht anders sein.
Männliche Ärzte, die zwischen den 1930ern und den 1980ern in Amerika geboren wurden, wurden beinahe ausnahmslos bei der Geburt beschnitten. Folglich haben sie kein persönliches Wissen über die Vorhaut — eine normale und hochspezialisierte Komponente der männlichen Anatomie. Sie sind abhängig von jedweder Information, die sie während ihrer Ausbildung zum Arzt von beschnittenen Professoren erhalten haben. Viele amerikanische medizinische Lehrbücher, [an denen sich deutschsprachige Lehrbücher jahrzehntelang orientierten] die nach Australien exportiert wurden, wurden von beschnittenen Ärzten geschrieben und enthalten oft noch nicht einmal eine Abbildung der normalen männlichen Anatomie [6]. Es ist unwahrscheinlich, dass praktizierende Ärzte, die so unzureichend ausgebildet wurden, akkurate Informationen über die richtige Pflege eines Körperteils bereitstellen können, welches sie selbst nicht besitzen und um das sie sich nur gelegentlich kümmern.
(Anekdotenhaft wissen wir bei DOC, dass mit der Vorhaut ein Element des psychologisches Zwangs einhergeht. Intakte Jungs sind ein Novum für Anglo-Ärzte die, besonders in den USA meist selbst beschnitten sind oder einen beschnittenen Partner haben. Der Drang zur Untersuchung des Kindes, um zu erkunden, was der Arzt selbst verloren hat, oder nur selten sieht, scheint unwiderstehlich, selbst dann wenn keine Anzeichen einer Krankheit oder einer Infektion vorliegen.)
Ein paar wenige moderne, englisch-sprachige Medizinbücher beschreiben die normale Penisanatomie korrekt wie die Europäer es verstehen und warnen davor, an der Vorhaut herumzufummeln. Bedauerlicherweise waren von den 40 Medizin-, Pflege- und Elternratgeberbüchern, die von DOC überprüft wurden, nur vier darunter, die korrekt informieren. Zum überwiegenden Teil ahmen sie die Hygienehysterie des 19. Jahrhunderts vor der Entstehung der Keimtheorie nach.
Um die kurzen Zitate aus den besten dieser Texte zu verstehen, ist es hilfreich ein paar medizinische Definitionen zu wissen
* Präputium—die Vorhaut des Mannes oder die Klitorisvorhaut der Frau.
* Phimose—griechisch für "Maulkorb" eine Verengung der Vorhautöffnung, die ein Zurückziehen der Vorhaut unmöglich macht und gewöhnlich die Folge von Infektionen oder Traumata ist. Dies muss von der normale Verklebung der Vorhaut mit der Eichel, wie sie bei der Geburt vorgefunden wird, unterschieden werden. Aber manche Kliniker benutzen diese Bezeichnung unterschiedslos, um beide Zustände zu beschreiben obwohl dies fehlerhaft ist.
* Paraphimose—eine Tendenz einer unelastisches Vorhaut, nachdem sie zurückgezogen wurde, hinter dem breiten Kamm der Eichel (Eichelkranz) stecken zu bleiben.
* retrahierbar—zurückziehbar, wie die Vorhaut eines Erwachsenen.
* pathologisch—krankhaft, im Gegensatz zur normalen Physiologie.
Ein Referenztext, Pediatrics,[7] gibt den richtigen Zeitplan für die Zurückziehbarkeit der Vorhaut an:
„Die Vorhaut ist normalerweise nicht zurückziehbar bei der Geburt. Die ventrale[untere] Oberfläche der Vorhaut ist natürlich mit der Eichel verklebt. Im Alter von 6 Jahren haben 80% der Jungen immer noch keine komplett retrahierbare Vorhaut. Im Alter von 17 Jahren, haben 97 bis 99 Prozent der unbeschnittenen Jungen eine vollständig zurückziehbare Vorhaut.“
Und Roberton's Textbook of Neonatology [8] warnt:
„Gewaltsames Zurückziehen im Kleinkindalter zerreißt das Gewebe der Vorhautspitze und verursacht Narben und dies ist die häufigste Ursache für eine wirkliche Phimose im späteren Leben.“
Avery's Neonatology [9] spricht eine identische Warnung aus:
„Das gewaltsame Zurückziehen der Vorhaut neigt dazu, Risse in der Vorhautöffnung zu verursachen, die zu pathologischer Phimose führen können“
Auf ähnliche Weise merkt Pediatrics [10] an, dass Phimose und Paraphimose
„gewöhnlich auf Infektionen oder Traumen infolge von Versuchen ein enge Vorhaut zu beseitigen zurückzuführen ist.“
und sie fügen hinzu
„die zirkumferentielle Vernarbung der Vorhaut ist kein normaler Zustand und löst sich im Allgemeinen nicht von selbst.“
Und selbst die Amerikanische Kinderärztevereinigung, die American Academy of Pediatrics (die vormals gegen das natürliche Stillen eintrat und regelmäßige erzwungene Vorhautretraktionen bei intakten Jungen empfahl) hat ihre Politik gerändert:
„Die Pflege des unbeschnittene Penis ihres Sohnes bedarf keines besonderen Vorgehens. Denken sie daran, die Vorhaut wird auf natürliche Weise zurückziehbar werden, und das Zurückziehen der Vorhaut sollte niemals erzwungen werden. Wenn die Jungen damit beginnen sich selbst zu baden, werden sie ihren Penis waschen müssen, so wie jedes andere Körperteil auch.“[11]
[Der Redaktion ist kein einziges deutschsprachiges Lehrbuch der Medizin bekannt, das die Zeitachse der Entwicklung der Vorhaut korrekt angibt. Eine korrekte und ausführliche Erklärung der normalen Entwicklung der Vorhaut finden sie hier.]
Bedauerlicherweise bringt die Website des Royal Australasian College of Physicians (RACP) alte Mythen über das Zurückziehen der Vorhaut und die angebliche Empfindlichkeit des intakten Kindes wieder aus der Mottenkiste. Die RACP gibt auch vollkommen falsche Werte über die Entwicklung der Zurückziehbarkeit der Vorhaut an und verweist darauf, dass die innere Struktur des Penis frühzeitig sichtbar sein müsse. Sie erklären ferner, dass ein Junge, wenn er im Alter von 4 Jahren noch keine zurückziehbare Vorhaut hat, einer medizinischen Intervention oder einer Operation bedarf. Bedauerlicherweise aber ist dies fehlgeleiteter Unsinn und Panikmache, der anscheinend dafür vorgesehen ist, Genitaloperationen einschließlich der Beschneidung zu bewerben.
Sie behaupten:
Physiologische Phimose (normale Verengung der Vorhaut, welche es während dem Säuglings- und Kleinkindalter schwierig machen kann, die Eichel zu sehen) wird sich normalerweie im Alter von 3 oder 4 Jahren von selbst lösen und bedarf keiner Behandlung. Wenn eine pathologische (d.h. nicht physiologische) Phimose nicht auf Steroidcreme/salbe anschlägt, die auf den verengten Teil der Vorhaut vier Mal am Tag 6 Wochen lang angewendet wird, gibt es eine berechtigte Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Zukunft Problem bereiten wird und das Kind von einer Zirkumzision profitiert.
Die Vorstellung ist absolut falsch, irreführend und behauptet das Vorliegen einer Krankheit nach dem 4. Lebensjahr, wo keine existiert —sofern diese nicht zuvor durch ein gewaltsames Zurückziehen der Vorhaut verursacht wurde. Bedauerlicherweise spiegelt das den Ausbildungsstand australischer Ärzte wider, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt praktizieren [12]. Im Alter von 4 Jahren können nur sehr wenige Jungen ihre Vorhaut zurückziehen. Darbei besteht absolut ein Grund dafür, warum sie es können müssten, und wie hunderte Generation ihrer Vorfahren mit natürlichen Genitalien haben sie kein besonderes Risiko.
Die RACP (wie auch die deutschsprachige Ärzteschaft) wurde übermäßig von dem beeinflusst, was fachkundige Ärzte den „Gairdner Fehler“ ("Gairdner Error") nennen. 1949 veröffentliche Douglas Gairdner, ein Kinderarzt aus dem Vereinten Königreich einen einflussreichen Artikel, indem er behauptete, dass um das 3. Lebensjahr 90% der Jungen eine vollständig zurückziehbare Vorhaut haben sollten [13]. Er stützte diese Schätzung auf seine begrenzte klinische Erfahrung und, wie andere Ärzte seiner Generation, zog er Jungen gewaltsam die Vorhaut zurück, die seinem Zeitplan nicht gerecht wurden. Er selbst untersuchte nahezu sicher Jungen, bei denen andere bereits die Vorhaut gewaltsam zurückgezogen hatten.
Obwohl der von Gairdner verurteilten routinemäßigen Säuglingsbeschneidung beinahe ganz allein durch diese Praktik im Vereinten Königreich in Großbritannien ein Ende gesetzt wurde, veröffentlichte man den falschen Zeitplan über die natürliche Retrahierbarkeit der Vorhaut weithin. Im Laufe der Jahre wurde dieser falsche Vorstellung unangefochten von medizinischem Text zu medizinischem Text übertragen und von dort auf Elternratgeberbücher, ohne dass eine angemessene klinische Grundlage bestand. Seit 1968 haben vier Europäische und Asiatische Studien Gairdner widerlegt [14]. Die RACP, die sich nur an Gairdner orientiert, muss an den Stand dieser anerkannten Forschungserkenntnisse scheinbar noch Anschluss finden.
Ethans Eltern haben allen Grund, wütend und besorgt zu sein. Die unnötige gewaltsame Retraktion von Ethans Vorhaut riskierte oder verursachte bereits eine oder mehrere völlig vermeidbare Folgen, von denen einige erst Jahre später deutlich zu Tage treten können. Alles wird Sorge bleiben: Vorzeitige gewaltsame Vorhautretraktionen sind auf einziartige Weise schmerzhaft, weil die Vorhaut eine der am dichtesten mit Nerven durchzogenen Strukturen des männlichen Körpers ist. Die Forschung zeigt, dass schon alleine Schmerz spätere psychologische Konsequenzen haben kann [15].
Sie haben vielleicht bereits bemerkt, dass ein Zusammenhang zwischen der geschichtlichen Vermarktung der Bescheidung und dem gewaltsamen Zurückziehen der Vorhaut besteht. Den jungen und vertrauensvollen Eltern zu erzählen, ein intakter Junge bräuchte eine gründliche Hygiene bei jedem Baden, half die Beschneidung zu vermarkten, da den Eltern damit vermittelt wurde, die Beschneidung würde ihnen diese für sie unangenehme und für ihren Sohn schmerzhafte Bürde nehmen. Besser – so lautet das Argument – den sofortigen extremen Schmerz der Beschneidung ertragen, als den regelmäßigen Schmerz, den die Eltern andernfalls im Laufe der Jahre ihrem Sohn zufügen müssen. Und wenn das gewaltsame Zurückziehen der Vorhaut dann tatsächlich Infektionen, die Narbengewebe, Verwachsungen, Phimose oder andere Probleme verursachten, war es ein leichtes, den Eltern wegen einer ungenügenden Körperpflege oder ihrer Ablehnung der Beschneidung - der von Anfang an vernünftigen Option - Vorhaltungen zu machen.
Tatsächlich gibt es zahlreiche anekdotische Belege, dass die gewaltsame Retraktion im 20 Jahrhundert eine Art von Vergeltung wurde, für kooperationsunwillige Eltern in den angelsächsischen Ländern, welche die Beschneidung ihres Neugeborenen ablehnten. Beides, Beschneidung und das gewaltsame Zurückziehen der Vorhaut, waren seit jeher eng miteinander verbunden, und beide schaffen sie Arbeit für die Ärzte, während den intakten Jungen einfach so zu lassen, nicht geringsten ökonomischen Nutzen verspricht. Die falsche „Entweder-oder-Wahl“, vor die Eltern 140 Jahre lang gestellt wurden, war immer die Vorhaut zurückziehen und darunter zu reinigen – oder zu beschneiden. Die einfachere und ethischere europäische oder asiatische Lösung – die Genitalien des Kindes einfach vollkommen in Ruhe zu lassen, wurde in der angelsächsischen medizinischen Praxis nur selten empfohlen.
Eine Tendenz, die normale verbindende Vorhautmembran bei Kleinkindern und kleinen Jungs als eine abnormale „Adhäsion“ fehlzuinterpretieren, führt auch zu unnötigen Beschneidungen im Kindesalter. Millionen von älteren Kleinkindern in der USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland [und Deutschland] haben schmerzhafte, unnötige und psychologisch belastende, schädigende Kinderbeschneidungen durchmachen müssen, mit Betäubung oder ohne, nur aufgrund dieser Unwissenheit.
Auf die Fehldiagnose der normalen Verbindungsmembran als Adhäsion geht auch das Beschneidungsmarketing-Mantra zurück, dem zufolge „der Junge es später ohnehin brauchen wird“. Sie ist die direkte Ursache für die Geschichten vieler Familien über ihren Onkel Bruce und seine schmerzhafte Beschneidung im Alter von 6 Jahren, an die er alle nur zu gerne erinnert. Damit wird angedeutet, dass die Beschneidung am besten gleich nach der Geburt durchgeführt werden sollte, obwohl in Wahrheit normale Genitalien – ganz egal in welchem Alter – keine Reparatur brauchen, und auch niemals gebraucht haben.
…ist niemals notwendig. Manchmal, wenn ein Kind unter einem Fieber unbekannten Ursprungs leidet, besteht ein Verdacht auf eine Harntraktinfektion, obwohl diese routinemäßig zu oft diagnostiziert wird. (Und ironischerweise sind viele echte Harntraktinfektionen die direkte Folge unnötiger Herumfummelei an den Genitalien durch den Arzt oder auf dessen Anraten – wofür das gewaltsame Zurückziehen der Vorhaut das Musterbeispiel ist)
Der Arzt kann eine Katheterisierung des Kindes anordnen, um es auf eine Infektion hin zu testen. Das Katheterisieren selbst trägt das Risiko, Oberflächenbakterien in die Blase hinaufzuschieben, was eine Harntraktinfektion erst verursacht, die immer mit dem Risiko einhergeht, weiter hinauf zu den Nieren zu steigen. Bessere und weniger risikoreiche Methoden zur Testung auf Harntraktinfektionen sind heute verfügbar. Selbst falls sie absolut notwendig sein sollte, kann die Katheterisierung durchgeführt werden, ohne die Vorhaut zurückzuziehen. Nachdem der Katheder in die Vorhautöffnung eingeführt wurde, muss der Arzt oder die Krankenschwester nur behutsam suchen, um die innere Harnröhrenöffnung durch „Gefühl“ zu finden. Selbst ein teilweises Zurückziehen der Vorhaut sollte nicht notwendig sein. Aber besonders in den USA, wo so viele beschnitten sind und normalen männlichen Genitalien nur minimaler Respekt entgegen gebracht wird, ist diese konservative Vorgehensweise zu einer verlorenen Kunst geworden.
Nicht alle Jungs, deren Vorhaut gewaltsam zurückgezogen wurde, bekommen die Probleme, die wir beschreiben und Millionen haben sich letztendlich von den körperlichen Folgen der vom Arzt durchgeführten oder angeordneten gewaltsamen Retraktion ihrer Vorhaut erholt. Natürlich erholten sich Millionen andere nicht vollständig und haben permanente lebenslange Probleme, obwohl sie diese vielleicht als Folge einer Verletzung deuten.
Darüber hinaus hat die Ärzteschaft nur ein begrenztes Verständnis für die psychologischen Auswirkungen von ungerechtfertigtem Schmerz, der den Genitalien eines Jungen durch seine Fürsorger zugefügt wurde [17].
Wenn die Vorhaut ihres Kindes gewaltsam zurückgezogen wurde, empfehlen manche Experten, durch sanftes Ablösen der Oberflächen und die Verwendung einer Creme auf Öl-Basis eine Barriereschicht zwischen den wunden Oberflächen zu schaffen, um ein anormales Zusammenwachsen der Oberflächen zu verhindern. Aber auch das ist für das Kind sehr schmerzhaft, physiologisch schädigend und hält keine Garantie auf Erfolg in Aussicht.
Andere Experten empfehlen, es sei besser, körperlich wie auch psychologisch, den Jungen in Ruhe zu lassen und auf seine natürlichen Selbstheilungskräfte zu vertrauen. Studien zeigen, dass Verklebungen durch die Beschneidung beispielsweise dazu neigen, spontan zu verschwinden [18]. Diese Theorie besagt, dass für einen physiologischen Effekt ein weiteres, wiederholtes, schmerzhaftes und traumatisierendes Herumhantieren am Genital des Jungen nicht die Mühe oder das Risiko wert seien.
Traurigerweise gibt es keine einfachen Antworten und keine Studien, die zeigen welche Methode die beste ist, und das Ausmaß dieser einzigartigen Verletzung würde niemals von ärztlicher Seite zugegeben, geschweige denn weithin akzeptiert.
Zweifellos sind Eltern eines Jungen, dem man seine Vorhaut gewaltsam zurückgezogen hat, anfänglich verpflichtet das Kind wegen einer möglichen Infektion zu beobachten. Zusätzlich müssen sich die Eltern im Vorhinein auf Phimosefälle vorbereiten, für die das Kind mit einer gewaltsam zurückgezogenen Vorhaut ein besonders hohes Risiko hat. Nachdem die Pubertät beginnt, muss der Junge selbst seine Fähigkeit beurteilen, seine Vorhaut zurückzuziehen oder ob er krankhafte Verklebungen/Verwachsungen hat, die sich nicht zurückgebildet haben, während er älter wurde.
Die beste Medizin ist natürlich Prävention. Eltern sollten absolut jedes Zurückziehen der Vorhaut verhindern, bevor sie überhaupt erfolgen kann, indem sie ihre Wünsche im Vorhinein klar und deutlich machen und zwar auf unzweideutige Weise, schriftlich, vielleicht mit einer Kopie dieses Artikels in der Hand. Machen sie ihre Wünsche zu einem formellen Teil der medizinischen Unterlagen ihres Kindes. Fragen sie sich selbst: Wenn mein Arzt nicht einmal diesen grundsätzlichen anatomisches Sachverhalt begreift, was versteht er oder sie eigentlich noch alles nicht?
D.O.C. bietet Eltern farbige Windelsticker an mit der Aufschrift “I'm Intact; Don't Retract!” (auf deutsch: „Ich bin intakt; zieh nicht [meine Vorhaut) zurück“). Diese führten eine unaufgeregte Diskussion mit dem Kinderarzt herbei. Es ist besser, ihren Kinderarzt oder -pfleger einen Moment lang zu stören oder aufzuklären, als ihrem Sohn eine lebenslängliche Verletzung zuzufügen.
Und wenn sie ignoriert werden und die Vorhaut ihres Sohnes trotz ihrer Warnung gewaltsam zurückgezogen wird – das kann binnen Sekunden geschehen – sollten sie den betreffenden Arzt oder Krankenpfleger bei ihrer ärztlichen Aufsichtsbehörde melden [in Deutschland sind dies die zuständigen Ärztekammern Anm. d. Red.] und ihnen alle Einzelheiten berichten. Oder kontaktieren sie unseren Ärzteverband, um ihnen zu helfen. Wir verlangen keine Gebühr für unsere Vermittlungsarbeit, obwohl wir Spenden gerne annehmen.[DOC kann nur Anfragen auf englisch entgegennehmen]
Wenn ihr Arzt oder Krankenpfleger die natürliche Anatomie ihres Kinders versteht und respektiert, bitte teilen sie uns seinen Namen mit. Wir sind immer auf der Suche nach gut ausgebildeten, ethischen verantwortlichen, „Vorhaut-freundlichen“ Ärzten und Krankenpflegern, zu denen wir überweisen können, die wir mit Vertrauen nennen können, wenn Eltern von intakten Kindern jedweden Alters nachfragen.
Vergessen sie niemals: Sie sind nicht verpflichtet, das Ego eines schlecht ausgebildeten Arztes oder Krankenpflegers zu streicheln. Schützen sie lieber ihr Kind!
Dr. jur. John V. Geisheker LLM, ein gebürtiger Neuseeländer, ist gegenwärtig Geschäftsführer von Doctors Opposing Circumcision (DOC), mit Hauptsitz in Seattle, Washington, USA. Von der Ausbildung her ein Rechtsanwalt, betätigt er sich seit 27 Jahren als Rechtsanwalt, Rechtslektor, Schlichter, und Mediator, der sich auf medizinische Streitfälle spezialisiert hat. Erst kürzlich half er bei der gerichtlichen Verteidigung von „Misha“, einem 13-Jährigen, der sich einer unfreiwilligen, nicht-therapeutischen, religiösen Beschneidung gegenübersah, ein Fall der jetzt dem Obersten Gericht der USA, dem US-Supreme Court übertagen wurde. Geishecker ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Er ist stolz darauf, dass sein Heimatland Neuseeland die medikalisierte Säuglingsbeschneidung in den 1960ern für unethisch und unnötig befand und vollständig aufgegeben hat.
Dr. med. John W. Travis MPH, absolvierte sein Medizinstudium in Boston und seine Facharztausbildung in der allgemeinen präventiven Medizin an der John Hopkins Universität. Er gründete daraufhin das erste Wellnesszentrum der USA, entwickelte das erste Wellness-Inventar, und ist Autor mehrerer Wellness Arbeitsbücher. Als er 1991 begriff, dass die Art, wie Kinder aufwachsen weit größeren Einfluss auf ihre späteres Wohlbefinden hat, als andere Faktoren in unserem Leben, erweiterte er den Fokus seiner Arbeit auf das Vollspektrum Wellness, das das Wohlbefinden von Säuglingen mit einschloss. Er war Mitgründer der Alliance for Transforming the Lives of Children (Allianz zur Umwandlung des Lebens von Kindern) (aTLC.org) und war Autor des Artikels „Why Men Leave, The Epidemic of Disappearing Dads“ (Warum Männer gehen, Die Epidemie der Verschwindenden Väter), der das erste mal 2004 in der Zeitschrift Byronchild (jetzt Kindred) veröffentlicht wurde und jetzt zu einem Buch erweitert wird. Er lebt heute in Mullumbimby, New South Wales, Australien.
Zitierweise des englischen Originalartikels: