Im Vorfeld des deutschen Beschneidungsgesetzes wurde das Schmerzempfinden Neugeborener von Prof. Latasch in seinem Vortrag vor dem Ethikrat am 23. August 2012 nicht in Abrede gestellt [1]:
„Selbstverständlich verfüge ein Neugeborenes über Schmerzempfinden, betonte Latasch und widersprach damit anderslautenden Behauptungen.“
Auch die Gefährlichkeit einer Allgemeinanästhesie im Neugeborenenalter wurde von Stephan Kramer vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 26. November 2012 nicht angezweifelt [2]
„Eine Vollnarkose, deren Verabreichung Ärzten vorbehalten ist, wird grundsätzlich abgelehnt, da sie ein Risiko für den achttägigen Säugling darstellt und daher nicht mit dem jüdischen Religionsgesetz vereinbar ist.“
In jedem anderen Kindesalter wird in Deutschland für eine medizinisch indizierte Zirkumzision eine Allgemeinanästhesie durchgeführt. „State of the Art“ der medizinisch indizierten Zirkumzision beim Kind ist in Deutschland die Narkose. Der Peniswurzelblock wird zur postoperativen Schmerztherapie erst in Narkose gelegt [3]:
„Die Operation erfolgt in Allgemeinanästhesie, ergänzt durch eine Leitungsanästhesie (Penis-, alternativ Kaudalblock).“
Dies bestätigt auch ein Gutachterfall der Ärztekammer Baden-Württemberg aus dem Jahre 2010 [4]:
„Die Anästhesie war nicht fachgerecht. In der Regel werden in Deutschland Beschneidungen in Vollnarkose durchgeführt. Wegen der Angst der Kinder vor der Operation, wegen ihrer Unruhe und den daraus resultierenden erschwerten Bedingungen erfolgt kaum ausschließlich Lokalanästhesie.“
Die „Regeln der ärztlichen Kunst“ einer wirksamen Anästhesie für eine solche Operation gelten selbstverständlich auch für Neugeborene und für nicht-medizinisch indizierte Zirkumzisionen.
Aus dem hohen Risiko einer Allgemeinanästhesie im Neugeborenenalter kann nicht abgeleitet werden, andere potentiell schmerzdämpfende Methoden bei der Brit Mila nicht mit der Wirkung der Allgemeinanästhesie zu vergleichen. Wenn es eine „gegenwärtig beste erwiesene Maßnahme“ gibt (Richtlinien der Deklaration von Helsinki [5]), ist es unethisch, sich auf placebokontrollierte Studien zu berufen, die allenfalls belegen könnten, daß einen Methode „besser als gar nichts“ bewirkt.
Die nur als verzweifelt zu bezeichnenden Bemühungen, Anästhesieillusionen als wirksame Schmerzausschaltungsverfahren zu etablieren, spiegeln sich auch darin wieder, daß zum Beleg der Wirkung bestimmter Methoden eine wahllose unvollständige Ausbeutung der Literatur vorgenommen wird, Artikel falsch wiedergegeben werden und Schlußfolgerungen einer Studie nicht vom Inhalt gedeckt sind. Svoboda und Van Howe bezeichnen diese Methode als „Partisan“ [6].
Aus der Stellungnahme von Prof. Dr. Leo Latasch im Deutschen Ethikrat an 23. August 2012, und von Stephan Kramer vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 26. November 2012:
„Daher bekomme ein Säugling bei der Brit Mila einen Tropfen süßen Weins, da die darin enthaltene Glukose das Schmerzempfinden herabsetze.“ [1]
„Schmerzlindernde Medikamente (EMLA-Salbe, Zäpfchen, Glukoselösungen) werden bereits jetzt von Mohalim verabreicht.“ [2]
Und auch Prof. Dr. Bernhard Roth, stellvertretender Direktor und Professor für Kinderheilkunde an der Kölner Universitätsklinik empfiehlt für die Neugeborenenzirkumzision „den Einsatz einer lokal betäubenden Creme und eines Saugers mit Glucoselösung“ [3]. Er bekräftigt seine Auffassung in seiner Stellungnahme in der anästhesiologischen Fachzeitschrift Anästhesie & Intensivmedizin [4]:
„Die Anwendung nicht-pharmakologischer Maßnahmen ist im Ritual der Brit Milah in gewissem Sinne bereits enthalten und leicht in dem hier gewünschten Sinne zu intensivieren (Glukose-Lösung, nicht-nutritives Saugen, Facilitated Tucking).“
Zum Facilitated Tucking ist zu sagen, daß das Früh- oder Neugeborene dabei in einer embryonalen Haltung eingerollt gehalten wird, die einen Zugang zum OP-Gebiet für einen Vorhauteingriff ausschließt.
Grundlage des verbreiteten Glaubens, das Nuckeln an Glucose-Lösung sei ein geeignetes Schmerzlinderungsverfahren bei der Neugeborenenbeschneidung, ist die immer wieder anzutreffende, irreführende und verharmlosende Eingruppierung der Brit Mila unter den sogenannten „minor procedures“ [5]:
„Newborns routinely experience pain associated with invasive procedures such as blood sampling, immunization, vitamin K injection, or circumcision.“
„Neugeborene erleben in der medizinischen Behandlung häufig Schmerzen im Zusammenhang mit invasiven Prozeduren wie einer Blutentnahme, Impfung, Vitamin-K-Injektion oder Zirkumzision.“
Auch wird immer wieder versucht, die Brit Mila als ein völlig anderes Verfahren als die kinderchirurgisch-urologische Zirkumzision darzustellen – siehe Kapitel „Die fachgerechte Durchführung“
Ausflug in die Literatur der Befürworter der Methode
Ausflug in die Literatur der Kritiker der Methode
Die Mischung der Lokalanästhetika Lidocain und Prilocain zur Applikation auf die Haut bzw. Schleimhaut gibt es in Deutschland unter zwei verschiedenen Handelsnamen, EMLA® und ANESDERM®.
Trotz identischer Wirkstoffkombination wurde ANESDERM® nie zur Neugeborenenbeschneidung empfohlen. Bis zum 17. Januar 2014 enthielt die Fachinformation ANESDERM® lediglich den Hinweis:
"Zur Anwendung von Prilocain-Lidocain DRS auf der Vorhaut von Neugeborenen vor der Beschneidung liegen begrenzte Daten vor."
Danach fehlt auch dieser Satz. Weitere Hinweise auf die Neugeborenenbeschneidung fehlen.
Ganz anders ist die deutsche Geschichte der Fach- und Gebrauchsinformation von EMLA®, dessen Zulassungsinhaber AstraZeneca im Jahre 2003 auf der Basis einer Miniuntersuchung an nur 68 Neugeborenen [1] die Aufnahme eines Unbedenklichkeitshinweises in die Fach- und Gebrauchsinformation erreichte (Kapitel 4.4 Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung):
„Allerdings hat sich bei Neugeborenen vor der Beschneidung die Anwendung von 1 g Emla auf der Vorhaut als unbedenklich erwiesen.“
Beide Medikamente schlossen in Kapitel 4.2 eine Anwendung auf der Genitalschleimhaut von Kindern unter 12 Jahren aus:
ANESDERM®: „Nicht auf der Genitalschleimhaut von Kindern unter 12 Jahren oder Vorhaut von Neugeborenen anwenden.“
EMLA®: „Bei Kindern unter 12 Jahren nicht auf genitaler Schleimhaut anwenden.“
Im Effekt resultierte aus diesen widersprüchlichen Anweisungen [2]:
„Demnach rät der Hersteller also von einem Einsatz ab, wie er bei einer Beschneidung vorgenommen wird - außer es handelt sich eben um eine Beschneidung.“
Eine Aufnahme der Indikation Neugeborenenbeschneidung in das Kapitel 4.1 (Anwendungsgebiete) fand allerdings in Deutschland nie statt. Durch den Unbedenklichkeitshinweis wurde aber eine diesbezügliche Fehlanwendung mit allen Haftungsrisiken eines off-label-Use mindestens billigend in Kauf genommen. Im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz ist EMLA® in Deutschland rezeptfrei in der Apotheke erhältlich, so daß das Medikament auch von in den Feinheiten des Arzneimittelrechtes nicht versierten Laien angewandt wird.
2005 erfolgte die 14. Novellierung des Arzneimittelgesetzes. Damit sollten vor allem EU-Vorschriften in nationales Recht umgesetzt werden. Im Anschluß an diese Novellierung wurde die AMVV geändert und alle Lidocain-haltigen Arzneimittel der Rezeptpflicht unterstellt (Ausnahme für Hebammen vor einem Dammschnitt). Die Präparate zum Auftragen auf Haut und Schleimhaut blieben in einer juristischen Grauzone rezeptfrei erhältlich, ein CMDh-Verfahren wurde 2008 eingeleitet. Der Sachverständigenausschuß beim BfArM empfahl bereits am 12. Januar 2010, die Lokalanästhetika Lidocain, Prilocain, Benzocain, Procain, Quinisocain - zum Aufbringen auf die Haut und Schleimhaut - von der Verschreibungspflicht freizustellen [3].
Das CMDh-Verfahren wurde 2013 abgeschlossen mit der Risikoeinschätzung, daß eine Unterstellung der Lokalanästhetikazubereitungen zum Auftragen auf Haut und Schleimhaut unter Verschreibungspflicht nicht notwendig sei. Die CMDh-Gruppe kam aber auch zu einem anderen für den Zulassungsinhaber überraschenden Ergebnis.
Sie unterzog nämlich die vorhandene Literatur zur Anwendung von EMLA® bei der Neugeborenenbeschneidung einer kritischen Revision [4, S. 24 ff.]:
„The recent CSP for EMLA cream does not contain any recommendations for use on genital mucosa in children, only in adults. Furthermore, in section 4.4 it is stated that “EMLA should not be applied to the genital mucosa of children owing to insufficient data on absorption of active substances. However, when used in neonates for circumcision, a dose of 1.0g EMLA on the prepuce has been proven to be safe.”
In comparison with the proposed paediatric doses for use on the skin, the doses for use on the genital mucosa are approximately half these doses in the lowest age groups (up to 12 months). In the older age groups, the maximum genital mucosa doses are only 20% and 15%, respectively, of the skin doses.
EMLA Cream is currently not approved for use on genital mucosa in children (below the age of 12 years) in any MS. The CSP for EMLA cream from the PSUR worksharing procedure of 2010 does not contain any recommendations for use on genital mucosa in children, and advises against such use in section 4.4. Therefore, the rapporteur for this paediatric procedure sees no reason to recommend the inclusion of such dosing recommendations for EMLA cream.“
„Das aktuelle CSP [Core safety profile] für die EMLA Salbe enthält keinerlei Empfehlungen für die Verwendung auf der genitalen Schleimhaut bei Kindern, nur bei Erwachsenen. Darüber hinaus wird in Sektion 4. 4. erklärt: „EMLA sollte nicht auf der genitalen Schleimhaut von Kindern angewendet werden, weil nur unzureichende Daten über die Absorption der aktiven Substanzen vorliegen. Aber wenn sie bei Neugeborenen für die Zirkumzision verwendet wird, hat sich eine Dosierung von 1.0g EMLA auf der Vorhaut als sicher erwiesen.“
Im Vergleich mit den empfohlenen pädiatrischen Dosierungen für die Anwendung auf der Haut betragen Dosierungen zur Verwendung auf der genitalen Schleimhaut bei den untersten Altersgruppen (bis zu 12 Monaten) ungefähr die Hälfte dieser Dosierungen. Bei den älteren Altersgruppen betragen die maximalen Dosierungen für die genitale Schleimhaut lediglich 20% bzw. 15% der Dosierungen für die [normale] Haut.
Die EMLA Salbe ist gegenwärtig zur Anwendung auf der genitalen Schleimhaut von Kindern (unter dem Alter von 12 Jahren) in keinem Mitgliedsstaat zugelassen. Das CSP für die EMLA-Salbe aus dem PSUR [Periodic safety update report] Arbeitsteilungsverfahren von 2010 enthält keinerlei Empfehlungen für die Verwendung auf der genitalen Schleimhaut von Kindern und spricht sich in Sektion 4. 4. gegen solch eine Verwendung aus. Aus diesem Grunde sieht der für dieses pädiatrisches Verfahren zuständige Berichterstatter keinen Grund, die Aufnahme solcher Dosierungsempfehlungen für die EMLA Salbe zu empfehlen.“
Auf der Basis der Studienübersicht von Paix/Peterson [5], die untern anderen die Studien von Benini [6], Taddio [7] und Brady-Fryer [8] beinhaltet, kommt die CMDh-Gruppe zu folgender Gesamtbewertung:
„After reviewing the publications … even if EMLA cream reduces pain in a statistically significant way, the reported reduction seems insufficient to be ethically acceptable. Therefore, including information on the use of EMLA in circumcision procedures in the EMLA national SmPCs cannot be recommended.”
„Nach der Bewertung der Publikationen … selbst wenn die EMLA Salbe den Schmerz auf statistisch signifikante Weise reduziert, erscheint die nachgewiesene Reduktion zu unzureichend, um ethisch akzeptabel zu sein. Daher kann die Aufnahme von Informationen über die Anwendung von EMLA bei Zirkumzisionen in die nationalen SmPCs [Fachinformationen] für EMLA nicht empfohlen werden.“
Insbesondere die Cochrane-Übersicht von Brady-Fryer überblickt Studien mit 1.997 Neugeborenen. Eine objektive Schmerzmessung mittels Cortisol- und ß-Endorphin-Spiegelmessungen wurde in allen Vergleichsstudien mit EMLA nicht durchgeführt. Bei den EMLA®-Studien fanden nur „weiche“ Kriterien Anwendung. Dennoch konnte eine Wirksamkeit nie hinreichend belegt werden.
Die CMDh-Gruppe empfiehlt [4, S. 64]:
„Section 4.1
It should be stated in which age groups the product is indicated, specifying the age limits, e.g. X is indicated in <adults><neonates><infants><children> <adolescents> <aged x to y <years, months>>.
Other sections
References to the use of EMLA for male circumcision should be removed.”
Daraufhin wurde der Unbedenklichkeitshinweis unter Kapitel 4.4 der deutschen Fach- und Gebrauchsinformation in der am 22. Juli 2013 neu veröffentlichten Version gestrichen. Allerdings geschah dies nicht ersatzlos — entgegen der Empfehlung der CMDh-Gruppe:
„Even if the statement in section 4.4 of the CSP only refers to safety of EMLA for use in neonates for circumcision, proof for sufficient efficacy seem to be lacking, and thus, any mentioning of use of this product for circumcision procedures should be removed to avoid this type of use. If circumcision is medically motivated, there are fully functional anaesthetic techniques available“
„Selbst wenn sich die Aussage in Sektion 4. 4. des CSP nur auf die Sicherheit von EMLA für die Verwendung bei Neugeborenen während der Zirkumzision bezieht, scheinen Belege für eine ausreichende Wirksamkeit zu fehlen, und somit sollte jedwede Erwähnung der Verwendung dieses Produktes für Zirkumzisionen entfernt werden, um diese Art der Verwendung zu verhindern. Falls die Zirkumzision medizinisch indiziert ist, sind vollständig funktionsfähige Anästhesie-Verfahren verfügbar.“
In Kapitel 5.1 der neuen Fachinformation wurde der folgende Absatz eingefügt:
Es liegen nur begrenzte pädiatrische Daten zur Anwendung von Emla auf der Vorhaut vor einer Beschneidung männlicher Neugeborener vor. In einer monozentrischen, doppel-blinden, randomisierten Studie bei 68 männlichen Neugeborenen wurde durch die Anwendung von 1 g Emla im Vergleich zu Placebo ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Schmerzreduktion beobachtet, demonstriert anhand reduzierter Gesichtsaktivität, Reduktion der Schreidauer und Verringerung der Herzfrequenz. Bei einer Verweildauer von 60 bis 80 Minuten auf der Vorhaut traten in der Emla-Gruppe Methämoglobin-Plasmakonzentration vergleichbar der Placebo-Gruppe auf (Emla 1,3 % +- 0,6 vs. Placebo 1,3 % +- 0,2).
Dieser Absatz zitiert ausschließlich aus der von der Herstellerfirma unterstützten Promotionsarbeit von Anna Taddio, zu der diese 1997 im New England Journal of Medicine veröffentlicht hat [6].
Hinweise auf die übrigen von der CMDh-Gruppe für ihre Neubewertung herangezogenen Studien [5], die erheblich größere Patientenzahlen überblicken, fehlen vollständig. Auch die Ergebnisse anderer Studien, die zur behaupteten Unbedenklichkeit von EMLA® zu abweichenden Ergebnissen kommen, werden in der neuen Fachinformation nicht erwähnt [10,.11,12]. Beispielsweise beschreibt ein Fallbericht aus dem Jahre 1997 einen Methämoglobinspiegel von 16 % bei einem Neugeborenen, das vor der Beschneidung lediglich 40 % mehr als die empfohlene Dosis erhalten hatte [9].
Die Promotionsarbeit von Anna Taddio wird noch 2013 von Bernhard Roth als „Schlüssel-Publikation zur Anwendung von EMLA®“ bezeichnet [13]. Dies kann sich allenfalls darauf beziehen, daß die Herstellerfirma sie als Schlüssel für die Vermarktung von EMLA bei der Brit Mila und den Unbedenklichkeitshinweis in der Fach- und Gebrauchsinformation fünfzehn Jahre lang verwenden konnte.
Der Artikel “Neonatal Pain Relief and the Helsinki Declaration” aus dem Jahre 2008 [14] analysiert die von der Herstellerfirma („support provided by … Astra Pharma Canada, and the Medical Research Council of Canada-Pharmaceutical Manufacturer's Association of Canada”) gesponserte Promotions-Arbeit von Taddio umfassend. Van Howe schreibt bereits 1998 im Anästhesiekapitel des Buches „Male and Female Circumcision – Medical, Legal and Ethical Considerations in Pediatric Practice“:
„A careful reading of the Taddio study should have exposed its obvious weakness and exposed the inefficacy of EMLA, …“
„Eine sorgfältige Lektüre der Taddio-Studie hätte ihre offensichtlichen Schwächen offenbart und die Unwirksamkeit der EMLA aufgezeigt, …“
Taddios Arbeit erfolgte placebokontrolliert, so daß die Neugeborenen der Kontrollgruppe in ethisch inakzeptabler Weise sogar ohne jegliche analgetische Maßnahme zirkumzidiert wurden.
Die Zeitfenster mußten von Taddio trotz des plazebokontrollierten Designs in ihrer Promotionsarbeit in wissenschaftlich unseriöser Weise beschnitten werden, um eine wenigstens geringfügige Wirkung von EMLA® zu belegen. Eine Kortisolbestimmung erfolgte nicht. Die Obergrenze des kritischen Methämoglobinspiegels wurde willkürlich definiert. Der Schmerz bei der Lösung der Vorhautverklebungen, die bei Neugeborenen fast ausnahmslos vorhanden sind, wird von EMLA nicht erreicht.
Auch Latasch zitierte in seinem Vortrag vor dem Ethikrat am 23. August 2012 eine weitere Arbeit von Taddio [15]. Der Fokus dieses Artikels lag auf den Spätfolgen einer Brit Mila ohne Anästhesie, die die Autoren als so gravierend bewerteten, daß sie sogar ein durch die Brit Mila ohne Anästhesie ausgelöstes posttraumatisches Streßsyndrom postulieren. Bedauernd stellten sie außerdem fest:
„[V]accination pain measured by facial action and cry duration did not differ significantly between infants circumcised with or without Emla.“
„Der Schmerz bei der Schutzimpfung, der anhand von Mimik und Schreidauer gemessen wurde, unterschied sich nicht signifikant zwischen den Säuglingen, die mit bzw. ohne EMLA beschnitten worden waren.“
Leider konnte die CMDh-Gruppe bei ihrer Neubewertung eine Besonderheit der Deutschen Gesetzgebung nicht einbeziehen. Der § 1631d BGB wurde erst am 12. Dezember 2012 durch den Deutschen Bundestag verabschiedet, also zu einem Zeitpunkt, als das CMDh-Verfahren bereits die Arbeitsphase verlassen hatte. Die Folgen des § 1631d BGB konnten also auch nicht in die Risikobewertung der CMDh-Gruppe einfließen, die eine Unterstellung von EMLA unter Verschreibungspflicht als nicht notwendig erachtet hatte [4 S. 23]:
„Regarding children, the MAH states that it may be noted that a relatively high proportion of adverse event reports with EMLA involve children. This is in accordance with the pattern seen previously, and most likely reflects the fact that EMLA is predominantly used in children. In the cumulative experience, methaemoglobinaemia has been reported more often in the lowest age groups. Apart from that, the types of symptoms reported in children are in general similar to those seen in adults, and there is no evidence of an increased risk of any ADRs in children.
The data submitted by the MAH do not give rise to any new safety concerns except those already known and labelled for EMLA cream and patch, i.e. transient local skin reactions at the application site such as paleness, erythema and oedema, and in rare cases methaemoglobinaemia in children and allergic reactions (e.g. anaphylaxis).
There are some published reports describing toxic effects associated with topical lidocaine use, such as EMLA [16,17,18].”
„These cases mostly appear to have been related to use of excessive amounts of Emla, not in accordance with the proposed labelling. However, the reports stress the facts that even if EMLA is a well-established product used for many years, the consequences of misuse can be serious.
The overall conclusion is that the results of the clinical studies submitted within this article 45 procedure do have any impact on the benefit/risk or paediatric prescribing information provided in the current SmPCs for EMLA.“
„Bezogen auf Kinder erklärt der MAH [Market Authorisation Holder, dt. Zulassungsinhaber], dass möglicherweise auffällig ist, dass ein relativ hoher Anteil der Berichte über unerwünschte Ereignisse in Zusammenhang mit EMLA Kinder betreffen. Dies entspricht dem vorher beschriebenen Muster, und spiegelt sehr wahrscheinlich die Tatsache wieder, dass EMLA überwiegend bei Kinder angewendet wird. Die Erfahrung lehrt, dass eine Methämoglobinämie am häufigsten in den unteren Altersgruppen festgestellt wird. Davon abgesehen sind die Symptome, die bei Kindern beobachtet werden, denen bei Erwachsenen ähnlich, und es gibt keinen Beleg für ein erhöhtes Risiko für irgendwelche Nebenwirkungen bei Kindern.
Die vom MAH vorgelegten Daten geben keinen Anlass für irgendwelche neuen Sicherheitsbedenken, außer denen, die für die EMLA-Salbe und Pflaster bereits bekannt und vermerkt sind, z. B. vorübergehende lokale Hautreaktionen an der Anwendungsstelle wie etwa Blässe, Erytheme und Ödeme, und in seltenen Fällen Methämoglobinämie bei Kindern und allergische Reaktionen (z. B. Anaphylaxie
Es liegen einige veröffentliche Berichte vor, die die toxischen Effekte infolge der topischen Anwendung von Lidocain, wie etwa in EMLA, beschreiben.[16,17,18].“
Diese Fälle scheinen meistens in Zusammenhang mit der Verwendung von übermäßigen Mengen von EMLA zu stehen, die nicht den empfohlenen Dosierungen entsprechen. Jedoch betonen die Berichte den Umstand, dass selbst wenn EMLA ein etabliertes Produkt ist, das seit vielen Jahren verwendet wird, die Konsequenzen einer fehlerhaften Anwendung schwerwiegend sein können.
Insgesamt ist daher festzustellen, dass die Resultate der klinischen Studien, die im Rahmen dieses Verfahren nach Artikel 45 vorgelegt wurden, einen Einfluss auf die Nutzen/Risiken oder pädiatrischen Verschreibungsinformationen haben, die in der aktuellen SmPC [=Summary of Product Characteristics, dt. etwa: Fachinformation] für EMLA bereitgestellt werden.“
Nach der Änderung der Fach- und Gebrauchsinformation für EMLA® und der Verabschiedung des § 1631d BGB ist Deutschland eine besondere Gefährdungslage für Neugeborene entstanden, die unter Einsatz der Anästhesieillusion EMLA® einer Beschneidung unterzogen werden. Eine schwere Gesundheits- und Lebensgefährdung von Neugeborenen bei Anwendung ohne ärztliche Beteiligung ist aus folgenden Gründen wahrscheinlich:
Bereits die Erkennung potentiell bedrohlicher Methämoglobinämien erfordert die geschulte Sachkenntnis eines Facharztes für Anästhesie oder Pädiatrische Intensivmedizin. Fehlmessungen des Methämoglobinanteils im Blut sind bei einigen Pulsoxymetern systemimmanent, so daß nur Spezialgeräte und arterielle Blutgasanalysen die Verdachtsdiagnose des erfahrenen Arztes sichern können. Die Behandlung der Methämoglobinämie erfordert ebenfalls Fachkompetenz. Generalisierte Krampfanfälle und eine direkte Lähmung des Atemzentrums sind in der Literatur beschrieben. Zur Vermeidung bleibender neurologischer Schäden ist eine umgehende Sauerstoffgabe und Therapie mit Benzodiazepinen zur Beseitigung der zerebralen Azidose notwendig. Diese Benzodiazepine können bei akzidenteller Überdosierung selbst eine Atemdepression und damit eine lebensbedrohliche Sauerstoffunterversorgung des Neugeborenen auslösen [31].
In seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 26. November 2012 hat der Ärztliche Direktor des Jüdischen Krankenhauses Berlin nicht nur die Anwendung von EMLA bei der Neugeborenenbeschneidung generell empfohlen [30]. Er hat die erhebliche Unterschreitung des erlaubten Dosierungsintervalles für Neugeborene (8 Stunden) in Form einer postoperativen Zweitapplikation von EMLA auf die offene Operationswunde des Neugeborenen propagiert.
Für eine Mehrfachapplikation von EMLA gibt es keine gesicherten Daten hinsichtlich der Ausbildung toxischer Methämoglobinwerte. Eine Applikation auf eine offene Wunde im Kindesalter ist obsolet. Die Empfehlung von Prof. Graf überschreitet mithin sogar den Ermessensspielraum eines Off-Label-Use, der einem Arzt prinzipiell offensteht, bei Weitem. Sie ist geeignet, eine Lokalanästhetikaintoxikation bei den Neugeborenen herbeizuführen.
Die Stellungnahme von Prof. Graf war über ein Jahr lang für jeden ärztlichen und auch nichtärztlichen Anwender frei verfügbar auf der Internetseite des Deutschen Bundestages abrufbar und konnte von den nichtärztlichen Beschneidern als Handlungsempfehlung verwendet werden.
Nicht zuletzt ist eine Unterstellung unter Verschreibungspflicht zur Klarstellung der Haftungsfrage für einen Off-Label-Use bei der Neugeborenenbeschneidung erforderlich. Der Personenkreis der nichtärztlichen Beschneider oder die Eltern der Neugeborenen können einen Off-label-use weder verantworten, noch seine möglichen schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Komplikationen erkennen, noch weniger diese therapieren. Überdosierungen sind wegen der geringen Wirksamkeit von EMLA bei der Neugeborenenbeschneidung sehr wahrscheinlich, insbesondere wenn das Medikament durch Nichtärzte angewandt wird, die keine Möglichkeit zum Wechsel auf ein effizientes Anästhesieverfahren haben („Viel hilft viel …“).
Ein vom Arzt veranlaßter Off-label-use von Medikamenten ist besonders in der Kinderheilkunde an sich nicht ungewöhnlich. Studien in dieser Patientenklientel fehlen häufig, da sie mit hohen Auflagen verbunden sind und der pekuniäre Nutzen für die Herstellerfirmen oft nicht entsprechend groß ist. Ein behandelnder Arzt kann ein Medikament im Off-label-use benutzen. Die ärztlichen Fachgesellschaften empfehlen, Off-label-Verordnungen nur auf Basis von gültigen Leitlinien, Empfehlungen oder von anerkannter wissenschaftlicher Literatur durchzuführen. An die Aufklärung der Patienten werden ebenfalls zusätzliche Anforderungen gestellt. Die behandelnden Ärzte haften zudem bei Off-label-use für die medizinische Richtigkeit beziehungsweise für eventuelle Nebenwirkungen. Eine Haftungspflicht des Pharmaunternehmens kann ebenfalls bestehen. Des weiteren kann eine Haftung der Pharmakovigilanz des BfArM aus dem „Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ (2. AMG-ÄndG) abgeleitet werden. Dort wurde der Begriff „Nebenwirkungen“ neu definiert als schädliche und unbeabsichtigte Reaktionen auf ein Arzneimittel. Durch die Streichung des bisherigen Zusatzes einer Reaktion „bei bestimmungsgemäßem Gebrauch“ zählen nun auch solche Reaktionen als Nebenwirkungen, die beispielsweise auf Überdosierungen, Fehlgebrauch, Mißbrauch oder andere Medikationsfehler zurückzuführen sind.
Da die Risikoeinschätzung der CMDh-Gruppe das Gefährdungspotential durch die absehbare Überdosierung bei der Neugeborenenbeschneidung in Deutschland nicht berücksichtigt, wurde dort um eine Neubewertung nachgesucht. Parallel wurde am 7. Oktober 2013 beim BfArM ein Antrag auf Unterstellung von EMLA®-Salbe unter Rezeptpflicht gestellt, der dort aktuell bearbeitet wird.
Die erlaubte Dosis von EMLA® (1 g mit einer Einwirkzeit von höchstens 60 Minuten) ist bei Früh- und Neugeborenen nicht als wirksam belegt [32].
Die Lokalanästhetika Prilocain und Lidocain als wirksame Bestandteile von EMLA® haben ab einer resorbierten Dosis von 6 mg/kg Körpergewicht eine systemische Toxizität, die zu folgenden Komplikationen führen kann:
Prilocain ist das Lokalanästhetikum mit der größten Methämoglobinbildung. In Methämoglobin ist das zweiwertige Eisen des Blutfarbstoffes und Sauerstoffbinders Hämoglobin in dreiwertiges umgewandelt. Methämoglobin ist nicht mehr in der Lage, Sauerstoff leicht reversibel zu binden, und gibt den Sauerstoff deshalb schlecht an die Körperzellen ab. Menschen mit einem hohen Anteil Methämoglobin haben eine grau-bläuliche Hautfarbe.
Im Körper wird Methämoglobin durch Methämoglobin-reduzierende Enzyme (Diaphorase und Reduktase) innerhalb einiger Tage wieder in Hämoglobin zurückverwandelt. Säuglinge sind wegen Mangels an Methämoglobin-reduzierenden Enzymen besonders empfindlich.
Lidocain: Einige der schädigenden Wirkungen lokalanästhetischer Fehlanwendungen und Überdosierungen fallen erst Jahre später auf, wie zum Beispiel die zu irreversiblen Nervenschädigungen führende Neurotoxizität, die aus einem direkten Nervenkontakt des Lokalanästhetikums resultiert. Insbesondere für den EMLA®-Bestandteil Lidocain ist eine solche Neurotoxizität umfassend belegt [33-43]. Eine postoperative Applikation auf die offene Wunde ist also geeignet, solche Nervenschäden auszulösen, weil das Lokalanästhetikum direkt an die Nerven gelangt.
Literatur
In jedem anderen Kindesalter wird in Deutschland für eine medizinisch indizierte Zirkumzision eine Allgemeinanästhesie durchgeführt. „State of the Art“ der medizinisch indizierten Zirkumzision beim Kind ist in Deutschland die Narkose. Der Peniswurzelblock als Teil der postoperativen Schmerztherapie und wird erst in Narkose gelegt [1]:
„Die Operation erfolgt in Allgemeinanästhesie, ergänzt durch eine Leitungsanästhesie (Penis-, alternativ Kaudalblock).“
Dies bestätigt auch ein Gutachterfall der Ärztekammer Baden-Württemberg aus dem Jahre 2010 [2]:
Die Anästhesie war nicht fachgerecht. In der Regel werden in Deutschland Beschneidungen in Vollnarkose durchgeführt. Wegen der Angst der Kinder vor der Operation, wegen ihrer Unruhe und den daraus resultierenden erschwerten Bedingungen erfolgt kaum ausschließlich Lokalanästhesie.
Dazu der Arbeitskreis Kinderanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) [3]:
Im Kindesalter wird die Regionalanästhesie meist mit einer Allgemeinnarkose kombiniert.… sollte ein Regionalanästhesieverfahren NIE erzwungen werden! Regionalanästhesieverfahren ohne gleichzeitige Narkose bleiben im Kindesalter speziellen Indikationen vorbehalten.
Absolute Kontraindikation: Fehlende Zustimmung durch Eltern bzw. Verweigerung durch das Kind.
Eine spezielle Indikation für eine isolierte Regionalanästhesie bei einem kindlichen Vorhauteingriff besteht allenfalls, wenn es sich um einen Notfalleingriff bei einem nicht nüchternen Kind handelt (z.B. Paraphimose mit Nekrosegefahr
Lokalanästhetika haben ab einer resorbierten Dosis von 6 mg/kg Körpergewicht eine systemische Toxizität, die zu folgenden Komplikationen führen kann:
Lokalanästhetika haben eine erregende Wirkung auf das Zentralnervensystem. Symptome leichter Überdosierung sind Ruhelosigkeit und Zittern, bei schwerer Vergiftung generalisierte Krampfanfälle, die Atembewegungen unmöglich machen. Außerdem kann eine direkte Lähmung des Atemzentrums auftreten. Auch wenn ein Krampfanfall in der Regel selbstlimitierend ist, reicht eine Sauerstoffgabe und künstliche Beatmung zur Vermeidung eines Hirnschadens durch Sauerstoffunterversorgung nicht aus. Leider ist gerade die regelrechte Therapie eines solchen Krampfanfalles (Gabe von Benzodiazepinen) selbst geeignet, Atemdepression und Bewußtlosigkeit auszulösen – und damit ebenfalls eine Sauerstoffunterversorgung. Ohne die Gabe von Benzodiazepinen ist aber die durch einen Krampfanfall verursachte Stoffwechselentgleisung des Gehirns nicht zu beseitigen.
Sekundär resultiert aus einer Lokalanästhetika-Überdosierung ein schweres Herz-Kreislauf-Versagen. Lokalanästhetika haben eine hemmende Wirkung auf die taktgebenden Nerven des Herzens. Es wird vornehmlich die Erregungsausbreitung gehemmt, so daß ein totaler Leitungsblock mit Kammerstillstand auftreten kann. Alle Lokalanästhetika wirken konzentrationsabhängig giftig auf das Herz, speziell für Lidocain sind z.T. tödliche Kreislaufkomplikationen berichtet.
Ein Spezialfall ist das häufig verwendete Prilocain, das das Lokalanästhetikum mit der größten Methämoglobinbildung ist. In Methämoglobin ist das zweiwertige Eisen des Blutfarbstoffes und Sauerstoffbinders Hämoglobin in dreiwertiges umgewandelt. Methämoglobin ist nicht mehr in der Lage, Sauerstoff leicht reversibel zu binden, und gibt den Sauerstoff deshalb schlecht an die Kör-perzellen ab. Menschen mit einem hohen Anteil Methämoglobin haben eine grau-bläuliche Hautfar-be. Ab einem Methämoglobinanteil von 15 – 30 % tritt Müdigkeit und Apathie auf, bei mehr als 40 % Kopfschmerzen, Atemnot, Beschleunigung des Herzschlages Übelkeit. Bei über 50 % erfolgt Bewußtseinsverlust.
Im Körper wird Methämoglobin durch Methämoglobin-reduzierende Enzyme (Diaphorase und Reduktase) innerhalb einiger Tage wieder in Hämoglobin zurückverwandelt. Säuglinge sind wegen Mangels an Methämoglobin-reduzierenden Enzymen besonders empfindlich.
Einige der schädigenden Wirkungen lokalanästhetischer Fehlanwendungen und Überdosierungen fallen erst Jahre später auf, wie zum Beispiel die zu irreversiblen Nervenschädigungen führende Neurotoxizität, die aus einem direkten Nervenkontakt des Lokalanästhetikums resultiert. Insbesondere für Lidocain ist eine solche Neurotoxizität umfassend belegt.
Die Neurotoxizität von Lokalanästhetika ist nicht an die chemische Struktur des Lokalanästheti-kums gebunden, sondern an die Bedingungen, zu denen es appliziert wird. Hohe Konzentrationen mit niedriger Wirkdauer haben ähnliche toxische Wirkungen wie niedrige Konzentrationen bei langer Wirkdauer [1,2,3]. Die neurotoxische Wirksamkeit korreliert mit den leitungsblockierenden Eigen-schaften[4,5]. Das bedeutet, daß es von Konzentration und Einwirkzeit abhängt, ob ein Lokalanästhe-tikum „lokalanästhetisch“ oder „neurotoxisch“ wirkt. Da der Arzt den Nerven bei der Injektion in der Regel nicht sieht, weil er unter der Haut liegt, ist ein irreversibler Nervenschaden bei jeder Injektion eines Lokalanästhetikums möglich.
Das häufig verwendete Lokalanästhetikum Ropivacain hat eine gefäßverengende Wirkung, so daß es in Arterienendstromgebieten nicht angewendet werden darf, weil sonst das Körperteil absterben kann (z.B. Finger, Penis).
Die Broschüre „Operation Beschneidung“ [1] ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber im Internet noch immer problemlos abrufbar. Sie wurde von der Ärztin Dr. Yael Adler erstellt und enthält — neben den üblichen Desinformationen zum Schmerzempfinden kleinster Kinder — für die besorgten Eltern eine
Einkaufsliste für die Apotheke
Paracetamol 75 mg Zäpfchen
1 Tube EMLA-Salbe mit Tegadermpflasterfolie
Octenisept Wundspray
Sterile Mullkopressen 7,5 x 7,5
200 g Augenvaseline frisch abgefüllt
100 ml Mandelöl frisch abgefüllt
Die o.g. „Einkaufsliste“ enthält außer EMLA aber auch noch eine weitere Empfehlung zu einem rezeptfreien Schmerzmittel. Das Paracetamol-Zäpfchen soll laut Broschüre:
„… direkt beim Abmachen des EMLA-Verbandes vor dem Eingriff eingeführt werden“ … „Mediziner empfehlen dieses Vorgehen …“
Der wissenschaftliche Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI sieht den Stellenwert von Paracetamol sogar für die perioperative Schmerztherapie (also die Behandlung eines postoperativen Schmerzes bei Kindern, und nicht etwa eines Operationsschmerzes) ein wenig anders [2].
Paracetamol ist ein schwach wirksames Schmerzmittel, dessen Wirkung oft überschätzt wird. Es könnte ein Zusammenhang der Gabe von Paracetamol mit später auftretendem kindlichem Asthma bestehen. Einige Medikamente gegen Übelkeit heben die Wirkung von Paracetamol auf.
Der Abbau von Paracetamol erfolgt in der Leber und zwar über ein giftiges Abbauprodukt, das nur in Anwesenheit von SH-Gruppen weiter abgebaut werden kann. Bei unzureichender Leberfunktion kann das giftige Abbauprodukt kumulieren und zu schweren Leberschäden führen. Paracetamol gilt als die häufigste Ursache für ein akutes Leberversagen bei Kindern. In 48% der Fälle liegt eine unbeabsichtigte Überdosierung zugrunde. Auf der anderen Seite sind bei Dosierung nach Herstellerangabe subtherapeutische Wirkspiegel zu erwarten. Eindeutig wird nach rektaler Gabe erst nach 2 – 3 Stunden (und nicht nach 5 Minuten!) der maximale Wirkspiegel erreicht.
Um den Geburtstermin gegeben können Prostaglandinsynthesehemmstoffe zum vorzeitigen Verschluß eines Ductus arteriosus Botalli führen. Bei noch unerkannten Herzfehlern, bei deren Vorhandensein ein offener Ductus arteriosus lebensnotwendig ist, kann ein solcher Verschluß zum Tod des Kindes führen.
Das Resümee des Übersichtsartikels „Perioperative Schmerztherapie bei Frühgeborenen, Säuglingen und Kleinkindern“ [3] zu Paracetamol ist daher:
„Aufgrund der geringen Wirksamkeit, der langen Anschlagzeit, einer in der Klinik oft stattfindenden Unterdosierung und den möglichen Nebenwirkungen erscheint Paracetamol kaum sinnvoll für eine Verwendung zur Akutschmerztherapie.“
Ganz gewiß ist Paracetamol nicht zur Schmerzausschaltung bei der Neugeborenenbeschneidung selbst geeignet. Die zuletzt 2013 aktualisierte Übersichtsarbeit „Pain relief for neonatal circumcision“ von Barbara Fryer-Brady (Cochrane Database) bezieht zur Wirksamkeit solcher Betäubungsversuche für den Fall der Neugeborenenbeschneidung klar Position [4]:
„Trials of oral acetaminophen, sugar solutions, pacifiers, music, and other environmental modifications to reduce circumcision pain did not prove them effective.“
„Versuche mit oralem Acetaminophen (entspricht in Deutschland: Paracetamol), Zucker-Lösungen, Schnullern, Musik und anderen Umweltveränderungen, den Zirkumzisionsschmerz zu reduzieren, haben [diese Mittel] als nicht wirksam nachgewiesen.“
Die Alternative Ibuprofen (Nurofen-Saft) ist für Neugeborene nicht zugelassen (Fachinformation bei DIMDI abrufbar) [5]:
„Kinder unter 3 Monaten dürfen Nurofen für Kinder Fiebersaft nicht einnehmen, da bisher keine ausreichenden Erfahrungen zur Höhe der Dosis und zur Anwendungssicherheit von Ibuprofen bei Kindern in den ersten Lebensmonaten vorliegen.“
Nur sehr wenige Kinder erhalten eine adäquate Analgesie (Schmerzbehandlung) gegen die postoperativen Schmerzen der Beschneidung. Howard et al untersuchten die postoperativen Schmerzen der Beschneidung über einen Zeitraum von 24 Stunden [6,7]. Howard stellte fest, daß der Beschneidungschmerz sehr intensiv und beständig ist und über den Beobachtungszeitraum von 24 Stunden hinausgeht.
Auch der in Narkose gelegte Peniswurzel- oder Ringblock, der nur 6 – 8 Stunden wirkt, hilft daher allenfalls, die Kinder nach dem in der Regel ambulant durchgeführten Eingriff schnell nach Hause entlassen zu können. Die gesamte Zeitspanne, in der eine postoperative Schmerztherapie nötig ist, kann er keineswegs abdecken. Dazu kommt eine bis zu 30%ige Versagerquote des Peniswurzelblockes [8], die auf der individuellen Nervenversorgung der Penisunterseite beruht:
„The glans penis was innervated by the dorsal nerve of the penis. In some patients dual innervation was present at the ventral aspect of the glans penis by the dorsal nerve of the penis and the perineal nerve“
„Die Glans Penis wird durch den Dorsalnerv des Penis innerviert. Bei manchen Patienten war an der ventralen Seite der Glans Penis eine duale Innervation durch den Dorsalnerv des Penis und den Dammnerv vorhanden“
Selbst wenn also ein Peniswurzelblock in Narkose gelegt wird und postoperativ eine ausreichende Wirkung hat, ist diese Wirkdauer zu kurz, so daß die Zirkumzision einer der Eingriffe ist, bei denen Kinder postoperativ [9] gehäuft nach mehr Schmerzmitteln verlangen (19%).