Jungenbeschneidung ist Genitalverstümmelung

Männer sollten das Recht haben, sich frei für die Beschneidung entscheiden zu dürfen, anstatt daß man ihnen diese Entscheidung aufzwingt. Die Beschneidung ohne Einwilligung oder unmittelbare medizinische Rechtfertigung ist eine ungerechtfertigte Verletzung grundlegender Menschenrechte, und hat mehr mit antiken Initiationsriten gemein, als mit verantwortlicher medizinischer Praxis.  

Ein Arzt beschneidet einen muslimischen Jungen in Bulgarien.

Es gibt immer noch viele Leute, die gerne behaupten, dass  Kinderbeschneidung und Genitalverstümmelung nicht das Selbe wäre. Einige von ihnen arbeiten anscheinend im indonesischen Gesundheitsministerium, dem Departement Kesehatan, das kürzlich Richtlinien für die sichere weibliche Beschneidung veröffentliche und einen Pressesprecher hervorholte, um die folgenden Worte der Weisheit zu verbreiten: "Ich würde betonen dass die weibliche Beschneidung keine Genitalverstümmelung darstellt, die tatsächlich gefährlich ist. Dies sind zwei grundverschiedene Dinge." 

Dieser Blödsinn kommt von dem selben Ministerium, das vor kurzem die Idee verbreitete, dass die Schweinegrippe Teil einer amerikanischen Verschwörung wäre - ein düsterter Plan, durch eine unwahrscheinliche Kette von unwahrscheinlichen Ereignissen - und es überrascht nicht, dass Logik nicht ihre Stärke ist. Doch auch in Großbritannien ist die selbe Einstellung weit verbreitet. Tausende Leute glauben, wider alle Logik und Vernunft, dass die Beschneidung männlicher Kinder irgendwie keine Genitalverstümmelung sei.  

Verstümmelung ist ein belasteter Begriff, also möchte ich klarstellen, was ich damit meine. Ich meine damit nicht, dass die Beschneidung eine Verstümmelung ist. Wenn einwilligende Erwachsene ihren Körper modifizieren möchten, indem sie hier etwas abschneiden oder da etwas hinzufügen, dann ist das ihr Recht, und Schönheit vor allem im Auge des Betrachters.

Die Beschneidungen von Kindern aber ist eine völlig andere Sache. Kinderbeschneidung bedeutet, dass, ohne Zustimmung, eine Operation durchgeführt wird, um die Genitalien einer Person permanent zu verändern. In vielen Fällen wird sie ohne eine triftige medizinische Rechtfertigung durchgeführt, beispielsweise damit das Kind den Erwartungen einer bestimmten Religion entspricht. Genauso wie wir auch Sex ohne Zustimmung als "Vergewaltigung" bezeichnen, sollte eine Beschneidung ohne Zustimmung oder vernünftige Rechtfertigung als "Verstümmelung" bezeichnet werden.  

Die Praxis etablierte sich in den USA im 19. Jahrhundert als ein Mittel um Jungen von der Masturbation abzuhalten. Die weibliche Beschneidung ist letzten Endes ein brutales Mittel zur Unterdrückung der Sexualität, und die männliche Beschneidung sollte das Gleiche erreichen. 

Als sie 1978 über die Praxis schrieb, legte Karen Paige nahe, dass, "wenn ein Brauch fortbesteht, nachdem die ursprünglichen Funktionen dahinter erloschen sind , ihm der Status eines Rituals zugesprochen werden kann." Die Beschneidung vermochte zwar nicht die Masturbation zu verhindern, grub sich aber als bizarrer Initiationsritus - ein Rückfall auf die Verbrennungen, Peitschungen und Beschneidungen, wie sie noch immer in anderen Stämmen auf der ganzen Welt praktiziert werden- in das amerikanische Bewusstsein.

Losgelöst von ihrem ursprünglichen Zweck, wurde die Beschneidung zu einer Behandlung auf der Suche nach einer Erkrankung, und nachträgliche Rechtfertigungen sind reichlich vorhanden. Umfragen zufolge sind die häufigsten Rechtfertigungen, auf die sich Eltern berufen, Hygiene und die äußere Erscheinung. Das Hygiene-Argument ist augenscheinlich dürftig– bei keinem anderen Körperteil bevorzugen wir "Schneid' es ab" gegenüber "Wasch es gründlicher" als bevorzugte Option zur Verbesserung der Hygiene. Was die Ästhetik anbelangt, ist es ehrlich gesagt etwas verstörend, wenn sich ein Elternteil für die kosmetische Erscheinung der Geschlechtsorgane seines Sohnes interessiert, aber zweifellos sollte jeder Einzelne selbst in dieser Angelenheit entscheiden!

Gesundheitliche Vorteile der Beschneidung werden häufig angeführt, lösen sich bei genauer Betrachtung jedoch in Luft auf, wobei Medizinerverbände dazu neigen, sie als eine Frage der persönlichen Wahl abzutun. Der Britische Ärztebund beispielsweise erklärt, dass "die medizinische Schäden oder Vorteile nicht eindeutig nachgewiesen wurde, aber es eindeutige Risiken gibt, wenn der Eingriff unsachgemäß durchgeführt wurde." [Der Professor für biologie an der University of Minnesota] PZ Myers bewertete die Behauptungen [über die Vorteile der Beschneidung] auf eine unverblümtere Art, und bezeichnete sie als "totalen Bullshit" 

    "Es gab fortlaufend Entschuldigungen: angefangen von der Vorbeugung der Masturbation, über die Vorbeugung von Krebs, bis zur Vorbeugung von AIDS. Die Vorteile schwinden alle mit weitergehenden Studien dahin und werden alle von Pro-Beschneidungs-Organisationen propagiert."

Die neuesten Vorwände zur Beschneidung beschwören das Schreckgespenst von AIDS, das zur Rechtfertigung der massiven Förderung der Beschneidung in Afrika verwendet wird. Eine Reihe Studien, die vorgaben zu zeigen, dass die Beschneidung die HIV-Übertragung verringert, waren mit schwerwiegenden Fehlern behaftet, wie etwa ein kürzlich veräffentliches Trio an Studien, die in Kenya und Südafrika durchgeführt wurden.

Robert Van How and Michelle Storms verfassten Anfang letzten Jahres eine dicht bequellte Antwort, die die Fragestellungen weit besser dokumentiert, als ich es hier kann, aber einige der Probleme sollte der interessierte Leser leicht herausfinden können. Die Studien sind mit einer Liste eindeutiger Voreingenommenheit belastet beispielsweise bedeutet die kurze Dauer der Testsstudie, dass beschnittene Männer (aus offensichtlichen Gründen, für eine bedeuteten Teil der Studiendauer unfähig waren Sex zu haben. Die Autoren gehen von der fehlerhaften Annahme aus, dass alle Übertragungen durch heterosexuellen Sex erfolgten, was erstens a.) falsch b.) die Studie zu einem schlechten Test der Hypothese macht, dass die Beschneidung die sexuelle Übertragung von HIV reduziert.

Am vernichtendsten ist jedoch der Umstand, dass wenn die Studien korrekt wären, und Beschneidung einen gewichtigen Schutz gegeben sexuell übertragbare HIV-Infektionen bieten würde, dann sollte die Auswirkung auch in der Gesamtbevölkerung deutlich wahrnehmbar sein. Das ist er aber nicht, und die Autoren zitieren mehrere Ländern, in denen beschnittene Männer häufiger HIV-infiziert sind als intakte Männer. Tatsächlich zeigen Studien aus 19 Ländern keinen Zusammenhang zwischen Beschneidung und HIV-Risiko. Aber selbst wenn es einen zusammenhang gäbe, könnten die gleichen Vorteile durch eine freiwillige Beschneidung im Erwachsenenalter erreicht werden.

Von körperlichen Vor- und Nachteilen einmal abgesehen, hat die Kinderbeschneidung eine tiefgreifende psychologische Auswirkung auf viele Männer. "Ich kann es nicht aus meinem Kopf bekommen, dass ich gegen meinen Willen verstümmelt worden bin" lautet eine Zeugenaussage auf der Webseite der Wohltätigkeitsgesellschaft Norm-UK.

Ich sprach mit mehreren beschnittenen Männern, während ich diesen Artikel schrieb, die so freundlich waren, mir zu erlauben ihre Erfahrungen mit euch zu teilen. Ich werde mehr von ihren Berichten (und denen anderer) in einem Nachfolgebeitrag veröffentlichen, aber für den Moment sind eine Reihe Zitate es wert, betont zu werden.

Philip, aus London, erzählte mir, wie es war, als er als kleines Kind sich zum ersten Mal seines Status bewusst wurde

    "Ich wollte es verbergen. Ich fühlte mich verstümmelt. Ich fühlte auch, dass meine Eltern mich im Stich gelassen haben; warum ließen sie zu dass jemand das mit mir macht? Ich hatte solch ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Missbrauchs infolge meiner Beschneidung."

Sein Ratschlag an alle Eltern, die heute darüber nachdenken, ihren Sohn beschneiden zu lassen?

    "Tun sie es nicht. Selbst wenn sie denken es ist vielleicht später notwendig, warten bis später ab um zu sehen, ob es wirklich notwendig werden sollte."

Seine Gedanken wurden auch von James ebenfalls aus London, geteilt

    "Als Erwachsener hat mir mein Status immer ein Gefühl gegeben, als ob ich eine 'Krankheit' hätte. Als ob ich beispielsweise kurzsichtig wäre, man kann zwar 'damit leben', aber es ist gewiss etwas, mit dem ich viel lieber nicht leben müssen würde. Daran zu denken, dass wohlmeinende, verantwortliche Eltern sich dazu entschlossen, mich auf diese Weise zu betrachten, ist ein sehr trauriger Gedanke."

Wenn sie noch immer nicht überzeugt sind, versuchen sie einmal folgendes Gedankenexperiment: Stellen sie sich vor, sie wachen am nächsten Morgen auf und müssen feststellen, dass man sie an ihre Bett gebunden und ruhig gestellt hat, während das grelle Licht von Krankenhauslampen auf ihre nackten Genitalien scheint. Ihre Eltern haben entschieden, dass etwas von der Haut ihres Penis abgeschnitten werden soll, vielleicht um sie in ihre Religion zu zwingen, vielleicht weil sie ihnen nicht zutrauen, sich unter der Dusche richtig zu waschen, oder einfach weil sie denken, dass Ihr Penis mehr wie deren Penis aussehen sollte.

Wenn ihnen der Gedanke nicht gefällt, dass so etwas mit ihnen passiert, wenn es ihren Glauben an die Selbstbestimmung oder den Rechten über ihren eigenen Körper verletzt, wie können sie es dann rechtfertigen, dass Kindern diese Praxis zugefügt wird?  

Kindesbeschneidung ohne medizinische Rechtfertigung sollte als das bezeichnet werden, was sie: Genitalverstümmelung. Ein Baby vorsätzlich zu verletzen, um Übereinstimmung mit den [Normen] einer Religion zu erzwingen, oder um die Ansicht seiner Eltern darüber, wie ein Penis aussehen sollte, zu befriedigen, ist ein kranker Akt. Er hat keinen Platz in einer modernen Gesellschaft. Der Kindesbeschneidung, -unabhängig vom Geschlecht- sollte ein Ende bereitet werden. 


 Deutsche Übersetzung des englischen Originalartikels:

    Martin Robbins. 'Infant circumcision is genital mutilation. The Guardian. "Lay scientist" webblog. 6. December 2011