BESCHNEIDUNGEN IN DER KINDHEIT:
 PSYCHiSCHE LANGZEITFOLGEN 

James R. Robertson, Ed.D. 

Präsentiert Während Dem Ersten Internationalen Symposium Zur Beschneidung in Anaheim, Kalifornien, 1-2 März 1989.  


      In ihrer Studie untersuchte Gocke Cansever (1965), 12 Türkische Jungen im Alter von vier bis sieben Jahren, die auf ihre Beschneidung vorbereitet wurden. Da die Türkei ein muslimisches Land ist, wussten sie, dass sie beschnittenen werden würden. Sie müssten sie als ein Teil des Heranwachsens betrachtet haben und als eine Maßnahme zur Aufnahme in die Gemeinschaft, was beides dazu beigetragen haben müsste den mit der Operation verbundenen Schmerz und das Umgehangen zu neutralisieren.   

       Ungefähr einen Monat vor ihrer Beschneidung wurden an jedem Kind der Goodenough Mann-Zeichnen-Test und der Kinder-Apperzeptions-Test durchgeführt. Sieben Tage nach der Operation, als ihre körperlichen Schmerzen vergangen waren, wurden die Tests ein zweites Mal an den Kindern durchgeführt. 

       Cansever berichtete, dass die psychologischen Auswirkungen der Beschneidungen, wie sie durch die Resultate der Tests aufgedeckt wurden, "zeigen, dass die Beschneidung vom Kind als ein aggressiver Angriff auf seinen Körper wahrgenommen wird, der ihn schädigte, verstümmelte, und in manchen Fällen vollkommen zerstörte. Das Gefühl "Ich bin jetzt kastriert" scheint die psychische Welt des Kindes zu beherrschen. Daher fühlt er sich als unzureichend und hilflos und funktioniert weniger effizient." 

       Diese Resultate stimmen mit der psychoanalytischen Theorie überein, die die Ansicht vertritt, dass die Beschneidung, die während der frühen Kindheit durchgeführt wird, als Kastration wahrgenommen wird. Freud (1966) postulierte, dass um das vierte bis fünfte Lebensjahr das Interesse des Jungen an seinen Genitalorganen eine dominierende Bedeutung erlangt. In dieser Phase der Persönlichkeitsentwicklung, die Freud die phallische Phase nannte, nehmen die Sexualorgane einen hohen narzisstischen Wert an. Die Furcht, dass diese geschätzten Organen Schaden nehmen, wird Kastrationsangst genannt. Laut Freud empfindet der Junge in dieser Phase starke genitale Bestrebungen gegenüber seine Mutter und einen Todeswunsch gegenüber seinem Vater, was unter dem Begriff des Ödipus-Komplex zusammengefasst wird.  Wenn der Junge das Fehlen des Penis bei Mädchen entdeckt, bestätigt diese Entdeckung seine Angst vor der Kastration als eine Vergeltungsmaßnahme für die verbotenen sexuellen Wünsche gegenüber seiner Mutter.  

      Es ist wahrscheinlich weithin akzeptiert, dass unter dem Einfluss der Kastrationsangst Jungen in der phallischen Phase zu irrationalen Ängste vor Schädigungen ihres Penis neigen. Tatsächlich erklärt  Anna Freud (1968), dass "jeder chirurgische Eingriff am Körper des Kindes als Fokus für die Aktivierung Reaktivierung, Gruppierung und Rationalisierung von Ideen des Angriffs, der Überwältigung oder der Kastration, dienen kann. … Wenn die Operation auch noch am Penis durchgeführt wird (Zirkumzision, sofern nicht direkt nach der Geburt), werden Kastrationsängste immer ausgelöst -unabhängig von Stand der libidinösen Entwicklung." Der psychoanalytischen Theorie zufolge wird das Kind, wenn die Abwehrmechanismen nicht stark genug sind um die Angst zu beherrschen, mit neurotischen Manifestationen [Symptome einer psychischen Störung] reagieren, bei denen, in einem gewissen Ausmaß, die Persönlichkeitsentwicklung aufgehalten wird und ein Gefühl des Verlustes und der Verstümmelung das ganze Leben hindurch anhält. (Rickman, 1957). 

       In den letzten Jahren zog die routinemäßige Säuglingsbeschneidung [in den USA] starke Kritik auf sich. Einige Kritiker betrachten sie als medizinisch unnötig. Andere sehen sie als einen barbarischen Relikt und als potentiell gefährlich an. Diese wachsende Kritik an der routinemäßigen Säuglingsbeschneidung  und der psychoanalytischen Bedenken bezüglich der Beschneidung, die während der phallischen Phase durchgeführt werden, haben keine Untersuchung der psychischen Langzeitauswirkung der Beschneidung auf den Weg gebracht. Niemand scheint die beschnittenen Männer gefragt zu haben, wie sie über ihren Zustand als Beschnittene denken.

       Die Population der erwachsenen Männer, die als Kinder beschnitten wurden, ist gering. Wallerstein (1980) schätzte die gegenwärtige Rate der routinemäßigen Säuglingsbeschneidungen auf 85% der männlichen Geburten in den USA. Er setzt den Wert der Beschneidungen jenseits des Säuglingsalter  bei weniger als 1% der beschnittenen männlichen Bevölkerung an. Berücksichtigt man die geringere Säuglingsbeschneidungsrate bei Männern, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts geboren wurden, würde die Bevölkerung der Männer, die als Kinder beschnitten wurden, immer noch weniger als 5% der gesamten beschnittenen männlichen Bevölkerung ausmachen.

       In einem Versuch solche Männer zu lokalisieren (aus einer allgemein gebildeten Bevölkerungsgruppe), wurde die folgende Annonce, die sie dazu aufforderte über die psychischen Langzeitauswirkung der Beschneidung in ihrem Leben zu berichten, in die National ReviewThe Nation, und die The New Republic gesetzt

Männer, Ich führe eine Untersuchung über die psychischen Langzeitfolgen der Beschneidung durch, mit dem Schwerpunkt bei Männern, die diese Operation als Kind erfuhren, aber nach dem Säuglingsalter. Schreiben Sie  Dr. J.R. Robertson… 

      Aus Studienzwecken sollten nur die Männer, die im Alter zwischen drei und sechs Jahren (dem ungefähren Zeitraum der phallischen Phase) beschnitten wurden, in der Untersuchung teilnehmen. Ein Gesamtanzahl von 36 Briefen wurde erhalten. Von diesen waren 19 von Männer aus der selektierten Altersgruppe. Einige Schreiber beschrieben die psychischen Langzeitauswirkungen in ihren Briefen. Andere erkundigten sich zunächst nach der Art der Studie, ehe sie in einem zweiten Brief antworteten. Alle äußerten ein Aliegen nach strenger Anonymität. Obwohl keine Informationen über die Beschäftigung verlangt wurde, verrieten die Briefe, dass ein Computerprogrammier (Bachelor of Science in der Mathematik), ein Ingenieur, ein Architekt, ein Professor, ein Arzt und ein Mathematiker unter ihnen war.   

      Bei der Untersuchung der Briefe wurde nicht erwartet, dass die berichteten negative Auswirkungen, sofern welche vorliegen würden, die Folge des Operationstraumas oder einer schlecht ausgeführten Operation sind. Ein psychisches Trauma ist bei jeglicher Operation, die an einem Kind durchgeführt wird, zu erwarten. Die einzigarte Eigenschaft sich kastriert, verstümmelt, und unvollständig zu fühlen, ist erwartungsgemäß die Folge des Zustands ein Beschnittener zu sein. Der Schmerz der Beschneidung und das wahrgenommene schlechte Resultat des Eingriffs verschlimmern die psychische Auswirkung, aber sie allein können den verringerten Selbstwert und die Fixierung auf eine verlorene Vorhaut, wie die Psychoanalyse sie voraussagt, nicht erklären.

     Bei der Lektüre der selektierten Briefe wird ersichtlich, dass niemand seinen beschnittenen Zustand mag. Das gemeinsame Thema, das sich durch alle Briefe zieht, ist Verstümmelung. Ein Mann berichtet, "Ich kann den psychologischen Schaden gar nicht genug betonen, der mich seit vielen Jahre lang heimsucht." Ein anderer schreibt, "Ich fühle mich unvollständig und bin bekümmert, dass ich auf solche Arte verstümmelt wurde und sorge mich, dass meinen männlichen Kindern das Gleiche zugefügt werden könnte. Ich bin anscheinend nicht fähig das Erlebte jemals zu vergessen." Als er sich an die Operation erinnerte schrieb einer der Männer: "Ich erinnere mich an den fürchterlichen Schmerz, als ich aufwachte, und wie ich auf den Verband herunterblickte. Ich dachte, sie hätten ihn entfernt. Ich schrie und schrie. In den folgenden Jahren litt ich an einem wiederkehrende Alptraum, indem mein Penis jedes Mal abgeschnitten wurde."

      Weil sie sich verstümmelt fühlten, hatten die Schreiber oft Angst davor ihren Penis vorzeigen zu müssen. 

"In meiner Jugendzeit, habe ich niemals meinen Penis irgendjemanden gezeigt." 

"Ich ging nie raus um Sport zu machen  aus dem alleinigen Grund, dass ich mich nicht vor anderen ausziehen und duschen wollte." 

"Ich habe nie an schulischen Athletikveranstaltungen oder am Nacktbaden teilgenommen" 

"Ich dachte die Narbe sei das Grässlichste, was ich jemals gesehen hatte." 

"Ich betrachtete meinen Penis als hässlich und hatte nur im Dunklem Sex." 

"Ich fühlte mich nackter als sie." 

"Ich hatte immer ein geringes Selbstbewusstsein und fühlte, dass ich meinem Sexualpartner einen unattraktiven Penis bot." 

       Wut ist eine häufige emotionale Reaktion. Ein Mann im Alter von 72 Jahren schreibt, dass er sich immer verstümmelt und deformiert fühlte und "wütend darüber war, beschnitten zu sein…heute bin ich vollkommen rasend vor Wut!" Ein anderer Mann berichtet, dass er die Beschneidung als  "barbarisch" ansieht, und dass er "wütend und hasserfüllt" gegenüber seinen Eltern sei. "Ich bin jetzt 50 Jahre alt" schreibt ein anderer "kein Tag ist seit meiner Beschneidung vergangen, an dem ich nicht geplagt war von Schmerz und Wut" 

     Überraschend ist, dass die Schreiber nicht frei über ihre Gefühle sprechen konnten außer gelegentlich mit einem engen Freund. "Ich habe diese Dinge niemand zuvor erzählt," schreibt einer von ihnen, "es hilft jemanden davon erzählen zu können." Ein anderer erklärte: "Das einzige Mal, als ich in der Therapie von meiner Beschneidung berichtete, musste ich eine ganze Stunde lang weinen und ich hätte noch länger weinen können." 

       Angst abgelehnt oder verspottet zu werden kann eine Erklärung dafür sein, warum viele Männer zögern ihre Gefühle offen zu zeigen. Einer vertraute seine Gefühle der Verstümmelung einem Arzt an, der ihm erzählte, "Mach dich nicht lächerlich, sei froh mit dem, was du hast" "Als ich versuchte mit meiner Mutter darüber zu sprechen," schreibt ein anderer "verhöhnte sie mich, indem sie sagte, `Was kümmert es dich, dass du ein bisschen Haut verloren hast?'" 

     Bei drei dieser Männer, war das Gefühl der Verstümmelung und des Verlustes stark genug, dass sie die Möglichkeit einer chirurgischen Vorhautwiederherstellung ernsthaft in Erwägung zogen.   

      Obwohl die Annoncen nach Männern suchten, die im Kindesalter beschnitten wurden, erhielten wir trotzdem Briefe von Männern, die zum Zeitpunkt ihrer Operation viel älter waren - - 13, 17, 28, 30 und 40. Der Unterschied in ihrer Einstellung ist auffällig. Es war ihre Entscheidung. In allen Fällen empfanden sie sie als Verbesserung. Sie wünschten, es wäre im Säuglingsalter gemacht worden. Zwei von ihnen fragten sich, warum es ein Interesse für eine Studie über die psychischen Langzeitauswirkungen der Beschneidung gebe, da es doch so eindeutig ein besserer Zustand wäre.

       Es gab natürlich auch Briefe von Männern, die älter als die selektierte Gruppe, (drei bis sechs Jahre) aber immer noch Kinder waren, als sie beschnitten wurden. Es gab sieben solcher Briefe welche die Altersstufen 7, 9, 10 und 11 Jahren repräsentierten. In allen Fällen wurden sie, wie auch die Männer aus der selektierten Gruppe, in gewissem Maß zur Operation gezwungen oder genötigt. Ihre Mütter erzählten ihnen, dass es nicht so schlimm wehtun würde, wie es dann tatsächlich der Fall war; sie glaubten, sie gingen zum Arzt wegen einer Mandelentfernung und wurden dabei zusätzlich noch beschnitten; und/ oder sie wurden gewaltsam zum Arzt geschleppt und beschnitten. Der Unterschied zwischen ihnen und der selektierten Gruppe ist der, dass erstere in der Lage schienen zu verstehen, was mit ihnen gemacht wurde. Ein Mann schrieb, dass ihm seine Mutter eine Notlüge über das Ausmaß der Schmerzen erzählte, aber er deutete an, "dass der fehlende Terror oder Schmerz über diese Angelegenheit mit der ruhigen Art und Weise zusammenhing, in der sie beschrieben und ausgeführt wurde."Während sie wütend darüber sind, dass man sie zur Beschneidung gezwungen oder dazu überlistet hat, neigen sie zur Vergebung: "Ich vermute sie dachten, was sie mit mir machten, wäre das Beste für mich." Oder philosophisch ausgedrückt: "Die meisten Männer sind ohnehin beschnitten." "Ich vermute mal, es ist gesünder so." Keine derartigen Geisteshaltungen werden seitens der selektierten Gruppe geäußert.  

       Zusammengefasst weisen die 19 Briefe von Männern, die im Alter zwischen drei und sechs Jahren beschnitten wurden, psychische Resultate nach, die mit den vorausgesagten psychoanalytischen Folgen der Beschneidung in der phallischen Phase in Übereinstimmung stehen. Diese 19 Männer fühlen sich charakteristischerweise verstümmelt, erniedrigt und unvollständig. Sie sind beherrscht, wenn nicht sogar besessen von dem Verlust ihrer Vorhaut. Sie äußern große Wut darüber, dass ihnen das Recht vorenthalten wurde selbst zu entscheiden. Wenn sie versuchten über ihre Gefühle zu sprechen, trafen sie häufig auf Hohn, Ablehnung und Spott. 

Referezen.

Cansever, G. (1965). Psychological effects of circumcision.
        Brit. J. Med. Psychol. 38: 321-331. 

Freud, A. (1968). The role of bodily illness in the mental life of children.
        In: The Writings of Anna Freud, Vol. IV. International Universities Press, Inc. New York. 269-270. 

Freud, S. (1966). The Complete Introductory Lectures on Psychoanalysis.
        W. W. Norton & Company. New York 545-575. 

Rickman, J. (1957). Selected Contributions to Psycho-Analysis. Basic Books, Inc. New York. 270. 

Wallerstein, E. (1980). Circumcision: An American Health Fallacy.
        Springer Publishing Company. New York. 131.

James R. Robertson erwarb seinen Bachelor und Master of Science an der University of Utah und seinen Ed.D. an der Utah State University. Er war als Naturwissenschaftlehrer an einer High School, Schulpsychologe an einer Highschool und als pychologischer Berater am San Joaquin Delta College tätig. Er ist heute im Ruhestand.