Kapitel 1: Einführung

Doctors Opposing Circumcision (DOC) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Bildungsorganisation, die sich aus Ärzten zusammensetzt, die für die genitale Unversehrtheit eintreten und die sich gegen die nicht-therapeutische Genitalbeschneidung von Säuglingen und Kindern aussprechen. Die Beschneidung weiblicher Genitalien ist bereits allgemein als eine schädigende Operation und Menschenrechtsverletzung anerkannt. Gesetze wurden erlassen, um Mädchen zu schützen, Jungen wurden aber nicht geschützt. Diese Erklärung wird sich deshalb auf den Schutz der genitalen Unversehrtheit männlicher Säuglinge und Kinder konzentrieren.

Mehrere Ärzteverbände in den englischsprachigen Ländern haben Stellungnahmen zur Beschneidung männlicher Kinder veröffentlicht. Diese Gesellschaften setzen sich aus Mitgliedern zusammen, von denen viele selbst Beschneidungen ausführen. Die oberste Pflicht der Ärzteverbände scheint der Schutz und die Förderung der finanziellen und rechtlichen Interessen ihrer Mitglieder zu sein. (Die Praxis der nicht-therapeutischen Kinderbeschneidung bringt der amerikanischen Ärzteschaft rund jährlich 1,2 Milliarden $ ein.(1)) Unter diesen Umständen besteht ein Interessenkonflikt, der eine ehrliche Diskussion dieses Themas behindert.

Goldman argumentiert, dass die Grundsatzerklärungen der Ärzteverbände – aufgrund einer Vielzahl emotionaler und soziopolitischer Faktoren– zu Gunsten der Beschneidung voreingenommen sind.(2) Zu den emotionalen Faktoren zählen unter anderem seitens beschnittener Ärzte die Vermeidung von emotionalen Schmerz, der die Folge der Hinterfragung der eigenen Beschneidung sein kann, und die Wahrung der Selbstachtung bei jenen, die hunderte oder tausende Beschneidungen durchgeführt haben.(2) Soziopolitische Faktoren beinhalten eine geteilte Meinung zur Beschneidung zu haben, aber den Anschein von religiöser Intoleranz zu vermeiden zu wollen.(2) Goldman merkt an, dass Diskussionen über sexuelle, psychologische, menschenrechtliche und rechtliche Fragen in den Grundsatzerklärungen der Ärzteverbände häufig fehlen.(2)

DOC ist auch der Ansicht, dass Grundsatzerklärungen von Ärzteverbänden häufig unvollständig und unangemessen sind oder dazu neigen eine Erklärung der Struktur, Funktionen, Entwicklung, und der Pflege des normalen Penis auszulassen und stattdessen dazu tendieren, die sogenannten „potentiellen Vorteile“ der Beschneidung überzubewerten, während sie die inhärenten Verletzung, Risiken, Komplikationen und Nachteile der Beschneidung verharmlosen. In einigen Grundsatzerklärungen ist die wissenschaftliche Medizin von religiösen/kulturellen Vorurteilen behaftet. Solch eine Voreingenommenheit lässt die Praxis der männlichen Beschneidungen fortbestehen zum Vorteil der Verbandsmitglieder, von denen manche persönlich von der Durchführung von Kinderbeschneidungen profitieren. Die Bioethik der Beschneidung wird oft oberflächlich und unangemessen behandelt. In einigen Fällen scheinen die Erklärungen von Anwälten und nicht von Ärzten verfasst worden zu sein, um so Ärzte vor Klagen zu schützen. Diese Erklärungen erfüllen nicht den öffentlichen Bedarf an akkurater Information und erweisen den kleinen Jungen, die Schutz brauchen, keinen großen Dienst.* (Siehe Kapitel Sechs.)

DOC hat keinen solchen Interessenkonflikt und hat deshalb beschlossen, ihre eigene Erklärung zu Beschneidung männlicher Kinder abzugeben. Diese Erklärung berücksichtigt die Anatomie, Histologie und Physiologie der Vorhaut; die angeblichen Vorteile der Beschneidung, die Komplikationen, Schäden und Nachteile der Beschneidung; die inhärente Schädigung des Penis und seiner eigentlichen physiologischen Funktion; die psychologischen Spätfolgen der Beschneidung und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen. Diese Erklärung wird auch die Stellung der Beschneidung männlicher Kinder unter internationalen Menschenrechtsgesetzen, nationalem Recht, und zeitgenössischer Bioethik überprüfen. Genitale Unversehrtheit bietet dem Kind und dem Erwachsenen, zu dem es heranwächst, das höchste Maß an Gesundheit und Wohlbefinden,(3) weshalb diese Erklärung Maßnahmen vorschlagen wird, um die genitale Unversehrt der amerikanischen Kinder zu fördern und zu verteidigen.


*Die American Academy of Pediatrics (AAP) ist ein einschlägiger Fall. Die Medien betrachten die AAP generell als die Autorität der Nation, die weiß, was das Beste für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern ist. Die Academy erteilt tatsächlich gewöhnlich vernünftige Ratschläge zur Gesundheit und zum Wohlbefinden von Kindern. In Sachen männlicher Beschneidung und genitaler Unversehrtheit aber herrscht eine ganz andere Situation vor.

Die Praktik der männlichen Beschneidung bringt zwei Sorten Männer hervor – jene, die sich genitaler Unversehrtheit erfreuen und jene die sich ihrer nicht erfreuen. Manche dieser Männer, der sich der genitalen Unversehrtheit nicht erfreuen, haben verschiedene emotionale Probleme aufgrund des Umstandes, dass ihnen ein vollständiger Penis durch eine traumatische Operation genommen wurde.(14) Viele beschnittene Ärzte haben ein emotionales Bedürfnis, ihre Herkunftskultur zu verteidigen und ihren persönlichen Verlust rational zu begründen, indem sie medizinische Literatur produzieren, die die prophylaktischen Vorteile der Beschneidung propagiert.(4) Auf der anderen Seite scheinen die meisten nicht-beschnittenen Ärzte und einige beschnittene Ärzte die Beschneidung abzulehnen. Die AAP zählt Ärzte beider Sorte unter ihren Mitgliedern. Folglich findet ein beständiges Tauziehen zwischen zwei oppositionellen Kräften statt, die versuchen die Position der AAP bezüglich der Beschneidung zu dominieren.(2) Die medizinische Fachliteratur über die männliche Beschneidung ist durch eine 130 Jahre alte Debatte zwischen beschnittenen Ärzten und anderen polarisiert;(1) die AAP kann, aufgrund der vielen beschnitten Ärzte unter ihren Mitgliedern, hinsichtlich der nichttherapeutischen männlichen Beschneidung in gleichem Maße polarisiert sein.(2) Darüber hinaus merkt Goldman (2004) an, dass Ärzte, die Beschneidungen in ihrer medizinischen Praxis durchgeführt haben, ein emotionales Bedürfnis haben, die Praktik zu verteidigen, (2) so dass sie möglicherweise "einen Teil der Belege, die gegen die Beschneidung sprechen, ableugnen."(2)

Die AAP behauptet, dass ihre Leitlinien zur Beschneidung (alle vier) evidenzbasiert seien. Die Wirklichkeit aber ist eine andere. Thompson (1983) berichtet von großen Kontroversen innerhalb des ad hoc Komitees, das den Report of the Ad Hoc Task Force on Circumcision von 1975 verfasste und einer Notwendigkeit, Beweise zu beeinträchtigen.(5) Die Meinungsverschiedenheiten in der Projektgruppe, die den 1989 Report of the Task Force on Circumcision herausbrachte, artete in einen offenen Krieg auf den Seiten der Ausgabe des New England Journal of Medicine vom 3. Mai 1990 aus, in welchem Dr. med. Edgar J. Schoen, FAAP die Beschneidungspartei (6) und Dr. med. Ronald L. Poland, die Befürworter der genitalen Unversehrheit (7) repräsentierte. 

Goldman (2004) berichtet, dass die Projektgruppe, die die AAP-Standpunkterklärung zur Beschneidung von 1999 herausbrachte, auch von Kontroversen und Meinungsverschiedenheit beherrscht war.(2) George C. Denniston, MD, MPH, der Vorsitzende von Doctors Opposing Circumcision, verglich die 1999er AAP-Standpunkterklärung zur Beschneidung, die von dieser Projektgruppe verfasst wurde, mit anderen AAP-Erklärungen über gute medizinische Praxis und die Principles of Medical Ethics der American Medical Association [Amerikanischen Ärztevereinigung].(8) In einem Brief an den damaligen Vorsitzenden der AAP, Louis Z. Cooper, M.D., FAAP, et al., verwies er auf zahlreiche Abweichungen von guter medizinischer Praxis und Ethik, wie sie in anderen Erklärungen der AAP und AMA beschrieben werden.(8) Offenbar waren diese Abweichungen notwendig, um die männlichen Ärzte, welche die Beschneidungspartei repräsentierten, zufriedenzustellen.

Gollaher (2000) schreibt bezüglich der Erklärung von 1999: 

„Wie in der Vergangenheit, war die neue Leitlinie ein Kompromiss, der die Fakten und Tauben der AAP beschwichtigen sollte.“(9)

Die Standpunkterklärungen der AAP zur Beschneidung sind Kompromisse, die kaum etwas mit wirklichen Beweislage zu tun haben. Selbst nachdem sie von Denniston,(8) über die Abweichungen informiert wurde, unternahm die AAP nichts um ihre Standpunkterklärung in Einklang mit guter medizinischer Praxis und Ethik zu bringen. Das Bedürfnis einen Kompromiss zu bieten, der für die beschnitten männlichen Ärzte, die die Position der AAP zur Beschneidung beherrschen, akzeptabel ist, scheint folglich wichtiger zu sein als die Gesundheit, das Wohlbefinden, die Menschenrechte, die besten Interessen und die genitale Unversehrtheit der Kinder Amerikas.

Referenzen

  1. Hill G. The case against circumcision. J Mens Health Gend 2007;4(3):318–23.
  2. Goldman R. Circumcision policy: a psychosocial perpective. Paediatr Child Health 2004;9(9):630–3.
  3. Van Howe RS.A cost-utility analysis of neonatal circumcision. Med Decis Making 2004;24:584–601.
  4. Goldman R. The psychological impact of circumcision.BJU Int 1999;83 Suppl. 1:93–103.
  5. Thompson HC. The value of neonatal circumcision. An unanswered and perhaps unanswerable question.Am J Dis Child 1983;137: 939–40.
  6. Schoen EJ. The status of circumcision of newborns. New Engl J Med 1990;322(18):1308–12.
  7. Poland RL.The question of routine neonatal circumcision.N Eng J Med1990;322(18):1312–5.
  8. Denniston GC. Letter to Louis V. Cooper, M.D. et al., October 15, 2002.
  9. Gollaher DL. Circumcision: A History of the World's Most Controversial Surgery. New York: Basic Books, 2000: p. 173.