Kapitel 9: Internationale Menschenrechte und die Beschneidung von Kindern.

Die zahlreichen medizinethischen Richtlinien, die von den Ärzteverbänden westlicher Länder verkündet wurden, verlangen von Ärzten die Menschenrechte ihrer Patienten zu achten.(1-7) Es ist folglich erforderlich die Beschneidung von Kindern im Lichte der internationalen Menschenrechte zu betrachten. So erklärt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF): 

Menschenrechte sind diejenigen Rechte, die für unser Leben als Menschen unverzichtbar sind – grundsätzliche Standards ohne die Menschen nicht in Würde leben oder sich entwickeln können. Sie sind der menschlichen Person immanent, unveräußerlich und universell.(8)

Dieses Kapitel wird untersuchen welche Stellung die Beschneidung von Kindern (die unfähig ihre Einwilligung zur Operation zu erteilen), die im 19. Jahrhundert in die medizinische Praktik eingeführt wird, unter internationalen Menschenrechtsgesetzten hat, die von den Völkern der Welt im 20. Jahrhundert übernommen wurden.

Als Beginn der Ära der Menschenrechte kann die Gründung der Vereinten Nationen 1945 in San Francisco angesehen werden, da die Charta der Vereinten Nationen diese Körperschaft dazu verpflichtet, die universelle Achtung und Einhaltung der Menschenrechter aller zu fördern, ohne Unterscheidung nach Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion.(9)

Kinder besitzen zwei Arten Menschenrechte:

  • Allgemeine Menschenrechte, die jeder Mensch besitzt, universell, einfach deshalb weil er ein Mensch ist.  
  •  
  • Spezielle Menschenrechte, die jedes Kind besitzt, universell, einfach deshalb weil sie minderjährig sind.

UNICEF erklärt: 

Menschenrechte gelten für alle Altersgruppen; Kinder haben dieselben allgemeinen Menschenrechte wie Erwachsene. Aber Kinder sind besonders verletzlich und deshalb habe sie auch besondere Rechte, die ihr besonderes Schutzbedürfnis anerkennen.(10)

Ärzte, die Kinderpatienten behandeln, haben die ethische Pflicht, sowohl die allgemeinen Menschenrechte als auch die speziellen Menschenrechte des Kinderpatienten zu achten und zu ehren. 

Allgemeine Menschenrechte

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen, um ihre Verpflichtungen unter der Charta zu erfüllen, nahm im Jahr 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) an.(11) Die AEMR erkennt das Recht aller Menschen auf Sicherheit der Person (Artikel 3), die Freiheit vor unmenschlicher, grausamer oder erniedrigender Behandlung (Artikel 5) an, sowie die Rechte der Mütter und Kinder auf besonderen Schutz (Artikel 25.2), die alle auf die Beschneidung Anwendung finden.

Die Generalversammlung übernahm 1966 den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR).(12) Dieser Pakt enthält mehrere Bestimmungen, die auf die Beschneidung von Kindern anwendbar sind. Jede Nation, die Vertragsstaat unter dem im Jahr 1976 in Kraft getretenen IPbpR ist, verpflichtet sich, diese Rechte für ihre Bürger durchzusetzen. Die USA ratifizierte diesen Pakt am 8. September 1992 mit verschieden Vorbehalten, Übereinkünften und Erklärungen, die den Wert dieses Paktes mindern. Artikel 7 und Artikel 24 sind auf die Beschneidung anwendbar.

Artikel 7 besagt:

Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden..

Artikel 9 besagt:

Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit.

Artikel 24 besagt:

Jedes Kind hat ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens oder der Geburt das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert.

Man muss bedenken, dass die nicht-therapeutische Beschneidung eine radikale, irreversible Operation ist, das dem Körper des Kindes gesundes, funktionales Gewebe entfernt (13) ohne medizinische Rechtfertigung und ohne die Zustimmung des Kindes, und die vielfältige physiologische Funktionen permanent zerstört. So erklärt Svoboda:

Bedenken nach menschenrechtlichen Grundsätzen bezüglich dieses Eingriffs beinhalten einen tiefgreifenden Verlust von hoch spezialisiertem und sensitivem sexuellem Gewebe, das darüber hinaus auch bedeutende Schutzfunktionen erfüllt, der Verlust der körperlichen Unversehrtheit, eine traumatische, äußerst schmerzhafte Entstellung, Komplikationen, deren Schweregrad bis zum Tod reicht, und die Unzulässigkeit jedweder Verstümmelung der Sexualorgane von Kindern die weder mit Einwilligung noch medizinischer Begründung ausgeführt wird.(14)

Anwendbare allgemeine Menschenrechte beinhalten die Sicherheit der Person und Freiheit vor grausamer oder erniedrigender Behandlung. Darüber hinaus erkennen beide Dokumente das Recht des Kindes auf besonderen Schutz aufgrund seiner Minderjährigkeit an.

Zusätzliche besondere Menschenrechte für Kinder

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen war zweimal aktiv um die Rechte des Kindes zu verkünden und zu schützen. Das erste mal 1959, übernahm die Generalversammlung die Erklärung über die Rechte des Kindes (ERK),(15) die die Rechte des Kindes auf besonderen Schutz weiter ausweitete und definierte. Die ERK verkündete 10 allgemeine Grundsätze zum Schutze der Kindern, von denen die Grundsätze 1,2,8,9, und 10 auf die Kinderbeschneidung Anwendung finden:

1. Das Kind erfreut sich aller in dieser Erklärung enthaltene Rechte. Ohne jede Ausnahme und ohne Unterscheidung oder Benachteiligung durch Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politische oder sonstige Überzeugung, nationale oder soziale Herkunft, Eigentum, Geburt oder sonstige Umstände, sowohl hinsichtlich seiner selbst wie seiner Familie, hat das Kind auf diese Rechte Anspruch

2. Das Kind genießt besonderen Schutz ; ihm werden Gelegenheiten und Erleichterungen durch Gesetz und auf andere Weise gegeben, sich gesund und natürlich in Freiheit und Würde körperlich, geistig, moralisch, seelisch und sozial zu entwickeln. Das Beste des Kindes ist für diese Gesetzgebung bestimmend.

8. Das Kind ist in allen Notlagen bei den Ersten, die Schutz und Hilfe erhalten.

9. Das Kind wird vor Vernachlässigung, Grausamkeit und Ausnutzung jeder Art geschützt. Es ist in keinem Fall Gegenstand eines Handels.

Die ERK aber war für niemanden bindend, sodass 1989 die Genrealversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte des Kindes (KRK) annahm, 16 welche die spezifischen Rechte verkündete, die die Vertragsstaaten in ihr nationales Gesetzgebung aufnehmen müssen. Einhundert und ein Länder wurden Vertragsstaate des KRK. Zwei Staaten sind keine Vertragsstaaten des KRK. Diese sind Somalia, das keine funktionierende Regierung besitzt, und die USA,(17) wo ein starker Widerstand dagegen besteht. Die Durchsetzung der KRK variiert von Nation zu Nation. In den USA, auch wenn die KRK nicht vom Kongress ratifiziert wurde, setzt sie dennoch einen Maßstab für den Schutz von Kindern.

Die KRK hat eine Anzahl Artikel, die für die Kinderbeschneidung von Relevanz sind. Diese beinhalten die Artikel 2, 3, 4, 6, 19, 24(3), 34, 36, 37, und 39. Alle Nationen außer Somalia und die USA, haben sich folglich verpflichtet die Bestimmungen der KRK zum Schutze der Kinder innerhalb ihrer Landesgrenzen umzusetzen.

Artikel 2(1)

Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.

Dieser Artikel begründet die Allgemeingültigkeit der Kinderrechte. Wie UNICEF erklärt:

Alle Kinder haben die gleichen Rechte.(18)

Es gibt keine Ausnahmen.

Artikel 3

1. Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

2. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.

Dieser Artikel begründet die „besten Interessen“ als Richtlinie, nach der alle Entscheidungen bezüglich Kindern zu treffen sind. Der zweite Teil begründet die Pflicht des Staates den Schutz und die Fürsorge für das Wohl des Kindes zu gewährleisten.

Artikel 4

Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit.

Artikel 4 begründet die Pflicht der Vertragsstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Bestimmungen der KRK zu verwirklichen.

Artikel 6

1. Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat.

2. Die Vertragsstaaten gewährleisten in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes.

Artikel 6 erkennt an, dass Kinder das selbe Recht auf Leben wie Erwachsene haben. Artikel 6 ist von besondere Relevanz in solchen Ländern wie Südafrika, wo regelmäßig Kinder in „Initiationsschulen“, in denen sie beschnitten werden, ihr Leben verlieren. Der Artikel ist auch relevant für entwickelte, westliche Länder, wo Kinder manchmal an Blutungen oder Infektionen infolge Beschneidungen sterben.

Artikel 19

1. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.

2. Diese Schutzmaßnahmen sollen je nach den Gegebenheiten wirksame Verfahren zur Aufstellung von Sozialprogrammen enthalten, die dem Kind und denen, die es betreuen, die erforderliche Unterstützung gewähren und andere Formen der Vorbeugung vorsehen sowie Maßnahmen zur Aufdeckung, Meldung, Weiterverweisung, Untersuchung, Behandlung und Nachbetreuung in den in Absatz 1 beschriebenen Fällen schlechter Behandlung von Kindern und gegebenenfalls für das Einschreiten der Gerichte.

Artikel 19 erkennt das Recht des Kindes auf besonderen Schutz vor allen Formen seelischer oder körperliche Gewalt oder missbrauch an. 

Artikel 24

Artikel 24 erkennt das Recht des Kindes auf Gesundheit an. Artikel 24.3 ist relevant für die traditionelle und schädigende Praktik der männlichen Beschneidung. 

3. Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.

Artikel 24.3 macht deutlich, dass Kinder ein Recht auf Schutz vor der traditionellen Praktik der Kinderbeschneidung haben.

Artikel 34

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Kind vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs zu schützen.

Der Penis ist ein Sexualorgan, folglich ist die Beschneidung eine Verletzung dieses Artikels. 

Artikel 36

Die Vertragsstaaten schützen das Kind vor allen sonstigen Formen der Ausbeutung, die das Wohl des Kindes in irgendeiner Weise beeinträchtigen. 

Ärzte missbrauchen die Präsenz der Vorhaut bei männlichen Kindern als Vorwand, um eine Beschneidung durchzuführen und kassieren eine Gebühr für diese Operation.

Artikel 37(a)

a) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass kein Kind der Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen wird.

Diese Artikel garantiert dem Kind das Recht auf Freiheit vor grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Die Beschneidung entfernt funktionales Gewebe des menschlichen Körpers und vernichtet die sexuellen und schützenden Funktionen der Vorhaut. Das ist eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung.

Artikel 39

Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um die physische und psychische Genesung und die soziale Wiedereingliederung eines Kindes zu fördern, das Opfer irgendeiner Form von Vernachlässigung, Ausbeutung oder Mißhandlung, der Folter oder einer anderen Form grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe oder aber bewaffneter Konflikte geworden ist. Die Genesung und Wiedereingliederung müssen in einer Umgebung stattfinden, die der Gesundheit, der Selbstachtung und der Würde des Kindes förderlich ist.

Durch diesen Artikel haben Kinder das Recht auf jedwede Behandlung, die ihnen dabei hilft sich von den Folgen der Beschneidung zu erholen.

Smith, die für das Niederländische Studien- und Informationszentrum für Menschenrechte schreibt (Studie- en Informatiecentrum Mensenrechten), erklärt, dass die Beschneidung von Jungen eine eindeutige Verletzung der Menschenrechte des Kindes ist, die der weiblichen Beschneidung entspricht.(18) Alle Mitglieder der Gesellschaft, einschließlich Eltern und Ärzte, haben die Pflicht, die Rechte der Kinder zu schützen.(20) Wir werden in einem späteren Kapital erfahren, wie sich das auf die Medizinethik der Beschneidung männlicher Kinder auswirkt.

Referenzen

  1. World Medical Association International Code of Medical Ethics. Angenommen durch den Weltärztekongress, Venedig, Italien, Oktober 1983.
  2. Council on Ethical and Judical Affairs. Principles of Medical Ethics. Chicago: American Medical Association, 2001.
  3. Code of Ethics. Ottawa: Canadian Medical Association, 2004.
  4. Code of Ethics for Doctors. Oslo: Norwegian Medical Association, 2000.
  5. Committee on Medical Ethics. The impact of the Human Rights Act 1998 on medical decision making. London: British Medical Association, 2000.
  6. Code of Ethics. Barton: Australian Medical Association, 2004.
  7. Code of Ethics. Wellington: New Zealand Medical Association, 2002.
  8. The Human Rights Framework. UNICEF
  9. Chapter IX, Article 55. Charter of the United Nations (1945).
  10. Protecting and realizing children's rights. UNICEF. 
  11. Universal Declaration of Human Rights, G.A. res. 217A (III), U.N. Doc A/810 at 71 (1948).
  12. International Covenant on Civil and Political Rights. United Nations General Assembly Resolution 2200A [XX1]. 16 December 1966. 
  13. Taylor JR, Lockwood AP, Taylor AJ. The prepuce: specialized mucosa of the penis and its loss to circumcisionBr J Urol 1996;77:291–5.
  14. Svoboda JS. Routine infant male circumcision: Examining the human rights and Constitutional Issues. In: (eds) Denniston GC, Milos MF. Sexual Mutilations: A Human Tragedy. New York: Plenum Press, 1997:205–15. 
  15. Declaration of the Rights of the Child. United Nations General Assembly Resolution 1386 [XIV], 20 November 1959.
  16. Convention on the Rights of the Child. UN General Assembly Document A/RES/44/25, 20 November 1989.
  17. Path to the Convention on the Rights of the Child. UNICEF.
  18. Understanding the Convention on the Rights of the Child. UNICEF. [Full Text
  19. Jacqueline Smith. Male Circumcision and the Rights of the Child. In: Mielle Bulterman, Aart Hendriks and Jacqueline Smith (Eds.), To Baehr in Our Minds: Essays in Human Rights from the Heart of the Netherlands (SIM Special No. 21). Netherlands Institute of Human Rights (SIM), University of Utrecht, Utrecht, Netherlands, 1998: pp. 465–498.
  20. Promoting and protecting rights for children. UNICEF.