Im Volkskrant vom 3. Juni reagieren Ron van der Wicken und Roos van der Wicken-de Leeuw auf die kürzlich veröffentlichte KNMG -Standpunkterklärung zur Jungenbeschneidung. Die KNMG ruft in dieser Stellungnahme Ärzte dazu auf, die Beschneidung von Jungen zu entmutigen, da dieser Eingriff eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit darstellt, die regelmäßig zu schweren Komplikationen führt.
In der Vergangenheit wurde der Jungenbeschneidung eine große Anzahl an Vorteilen zugeschrieben. So sollte die Beschneidung gegen Gicht, Syphilis, Epilepsie, Kopfschmerzen, Arthrose, Alkoholismus, Hernien, Asthma, Verdauungsprobleme, Ekzeme und übermäßige Masturbation helfen.
Auch in der modernen Literatur sind einige mögliche Vorteile der Jungenbeschneidung beschrieben, so etwa ein reduziertes Risiko für HIV-, HPV- und Harnwegsinfektionen. Diese Vorteile sind jedoch wissenschaftlich sehr umstritten. Darüber hinaus scheint es, dass beispielsweise bei HIV-Infektionen verhaltensbezogene Faktoren (ungeschützter Sex, unsicherer Drogenkonsum) viel wichtiger zu sein scheinen als die Frage, ob man eine Vorhaut hat oder nicht.
Die Weltgesundheitsorganisation erklärt, dass die Beschneidung in einigen Ländern eine kostengünstige Methode zur Bekämpfung der HIV-Epidemie sein kann. Auch diese Position der WHO ist umstritten, vor allem weil die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema nicht eindeutig ist.
Auch wurden die Studien, die auf ein geringeres Risiko für HIV-Übertragung verweisen, im Afrika südlich der Sahara durchgeführt, wo die Übertragung des HI-Virus hauptsächlich über heterosexuelle Kontakte erfolgt, und Alternativen, wie der Kondomgebrauch, aus Kostengründen, weniger verbreitet sind. In der westlichen Welt ist die HIV-Übertragung dagegen viel öfter die Folge homosexueller Kontakte und der Verwendung kontaminierter Nadeln. Laut dem Amerikanischen Center for Disease Control hilft die Beschneidung nicht gegen HIV-Übertragungen unter homosexuellen Männer.
Auch Frauen werden durch die Beschneidung nicht geschützt. Einen Nachweis, dass die Beschneidung dazu beitragen könnte, die Zahl der HIV-Infektionen in den Niederlanden zu senken, wo die Übertragung hauptsächlich durch ungeschützten Drogenkonsum und homosexuelle Kontakte erfolgt, gibt es außerdem auch nicht.
Andere mögliche Vorteile der Beschneidung (reduziertes Risiko für HPV- und Harnwegsinfektionen) können durch andere, weniger drastische Mittel (HPV-Impfung, Kondomgebrauch, Antibiotika) erreicht werden.
Die Jungenbeschneidung hat nach Ansicht der KNMG keine so großen medizinischen Vorteile, um diese Operation und das reelle Risiko von Komplikationen rechtfertigen zu können. Weltweit existiert auch keine einzige Ärzteorganisation, die die routinemäßige Beschneidung von Jungen aus medizinischen Gründen empfiehlt.
Selbst wenn medizinische Vorteile mit der Zirkumzision verbunden wären, gibt es immer noch keinen Grund dafür, die Beschneidung im Baby- oder Kindesalter durchzuführen. HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs beispielsweise werden auch erst dann durchgeführt, wenn Mädchen in die Pubertät kommen.
Die Regel ist, dass präventive medizinische Eingriffe bei Kindern – z.B. Impfungen – nur dann erfolgen sollten, wenn eine sorgfältige Abwägung der Notwendigkeit, Sicherheit, (Kosten-)Effektivität, der Komplikationen, der vorhandenen Alternativen und der Notwendigkeit zur Durchführung der Operation im Kindheitsalter durchgeführt worden ist. Für die Jungenbeschneidung erfolge eine derartige Abwägung nie.
Die KNMG vertritt daher die Ansicht, dass die nicht-therapeutische Beschneidung von Jungen hinausgeschoben werden sollte, bis der Junge in einem Alter ist, in dem er selbst über den Eingriff entscheiden kann, oder für mögliche Alternativen optieren kann.
Viele Leute denken bei der Mädchenbeschneidung oder der weiblichen Genitalverstümmelung an die schwerste Form, die Infibulation, bei der die Klitoris und die Schamlippen vollständig entfernt werden. Diese hat sehr ernste medizinische, psychologische und sexuelle Folgen. Es gibt jedoch auch Formen der Mädchenbeschneidung, die viel weniger drastisch sind. Bei den milderen Formen der Mädchenbeschneidung, wie beispielsweise bei der Sunna-Beschneidung, wird allein die Klitorisvorhaut entfernt. Diese Form ist wesentlich weniger gravierend als die Jungenbeschneidung, bei der ein Teil des erogenen Gewebes des Penis entfernt wird. Die KNMG und die Weltgesundheitsorganisation verurteilen jedoch alle Formen der Mädchenbeschneidung, auch die milden oder die symbolischen Formen, weil sie eine Verletzung der Rechte der Frau darstellen.
Sowohl die Jungen- als auch die Mädchenbeschneidung sind irreversible, medizinisch unnötige Operationen an einem minderjährigen Kind. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Eingriffen ist, dass die Jungenbeschneidung viel häufiger ist, in der Regel aus anderen Motiven durchgeführt wird und gesellschaftlich viel mehr akzeptiert ist, als die Mädchenbeschneidung. Für KNMG gibt es daher genügend Gründe um beide Praktiken abzulehnen.
Die KNMG ist sich der langen Geschichte der Jungenbeschneidung und der tiefen kulturellen und religiösen Gefühle, die mit dieser Praxis verbunden sind, bewusst. Dies ist auch einer der Gründe, warum die KNMG nicht für ein gesetzliches Verbot plädiert, sondern für den Dialog und die Entmutigung.
Gert van Dijk, Ethiker KNMG und Erasmus MC
Tom de Jong, Leiter der Abteilung für Kinderurologie am Academic Medical Center und Wilhelmina Kinder-Krankenhaus.